Ein einfaches Leben: Zurück zum Wesentlichen

Ein einfaches Leben zu führen scheint in unserer schnellen, digitalisierten und vollen Welt immer schwieriger zu werden. Auf meiner Reise durch Südamerika im Jahr 2010 bin ich dieser Einfachheit häufig begegnet. Ich fragte mich, ob nur ich durch mein Leben rase, oder ob auch mein Leben an mir vorbeirast und wir beide vielleicht so schnell sind, dass wir uns gar nicht begegnen. Ein paar Gedanken, die mir während einer Busfahrt durch die Anden durch den Kopf gingen:

Ein einfaches Leben

Ein einfaches Leben

Diese Einfachheit fragt beinahe vorwurfsvoll, warum ich so viel mehr benötige als die hier lebenden Menschen besitzen: Eine kleine Hütte aus Holz, eine Küche, ein Bett. Früchte und Gemüse aus dem eigenen Garten und eine Toilette am anderen Ende des Grundstücks. Die Aussicht steht im Kontrast zum kleinen Eigentum – unendliches Terrain. Von wenigen Augen betrachtet, von den betrachtenden Augen bewundert.

Außer Luxus scheint es alles zu geben.
Oder ist vielleicht gerade das der wahre Luxus?

Einfach leben und alles besitzen

Wenig zu haben und doch alles zu besitzen.
Einfach zu leben, aber den Lebenssinn nicht über die Materie zu definieren.
Abgeschieden zu leben, aber das Alleinsein aushalten können.
Leere zu erfahren, aber das Nichts-Tun als Tun empfinden können.
Den Tönen der Welt nicht zu lauschen, aber die innere Stimme zu vernehmen.
Frei zu sein von dem Streben nach Größerem und nicht Teil einer Gesellschaft zu sein, die Angst vor dem Versäumen hat und sich mit ihrem eigens auferlegten Leistungsdruck selbst erdrückt.

Die Dunkelheit nicht einfach durch einen Lichtschalter ausschalten zu können, aber im Einklang mit der Natur zu leben.
Ist das der größere Reichtum?
Das Tor der modernen Welt nur von außen zu betrachten und nicht durch es hindurchzuschreiten?
Bei Blicken in die ruhenden Gesichter am Straßenrand glaube ich, dass ein mittelloses Leben mit immaterieller Fülle wertvoller ist.

Einfach leben in der heutigen Zeit

Ohne E-Mails, die stillschreiend klagen, dass sie schneller beantwortet werden wollen – einzig im Gespräch mit sich selbst.
Keine Bürokratie – aber Träume in die Luft malen.
Kein materieller Überfluss – der Blick ist frei für das Wesentliche.
Kein Haschen nach Wind, kein Verschwenden der Stunden, kein Streben nach immer mehr, immer größer, immer schneller.
Keine endlosen To-Do-Listen, kein Überangebot, kein Zeitdruck.

Einfach sein, um zu Sein.
Einfachsein, um einfach zu Sein.
Ist das dann Langeweile? Sinnlosigkeit? Einsamkeit?
Oder Achtsamkeit, Erfüllung, der Sinn?

Doch was schreibe ich…
Inmitten der Einfachheit versteckt sich vermutlich die Armut, die ich nur von außen erlebe, aber nicht von innen erfahre.
Ich fühle mit, aber ich muss sie nicht spüren.
Ich bin mittendrin und doch nie mehr als eine Zuschauerin.
Wann immer ich möchte, kann ich die Bühne verlassen, denn ihr Labyrinth hält mich nicht gefangen. So ist es mir nicht erlaubt, die Faszination für die Ursprünglichkeit zu romantisieren …

Der Text ist ein Auszug aus meinem Buch Schlaflos in der Regenzeit

Musik zum Thema: Willy Astor – Einfach sein