Potosí und der reiche Silberhügel – die Narben unserer Welt

Slberhügel von Potosí

Potosí: Mit 170.000 Einwohnern auf über viertausend Höhenmetern gelegen, ist Potosí die höchstgelegene Großstadt der Welt. Sie ist bekannt für ihren Cerro Rico, ihren reichen Silberhügel. Ebenso reich wie an Silber, ist er an Menschen, die in ihm ihr Leben verloren haben. Noch heute schürfen die Bergmänner unter unmenschlichen Bedingungen unter der Erde, aber viertausend Meter über dem Meeresspiegel,­ nach Zinn, Kupfer, Blei und den letzten Silberresten.

Dieser Artikel ist ein Text aus meinem Buch Zwischen den Zeilen reisen – eine südamerikanische Reiseerzählung mit Impulsen für ein einfaches, nachhaltiges und gerechtes Miteinander in einer globalen Welt.

Übersicht

03. Juni 2010

Tour in die Minen von Potosí

Potosí

Minenmarkt von Potosí

Pflichtgemäß halten Ana, mein Guide und ich, am Mercado de los Mineros, dem Minenmarkt, wo wir einige Mitbringsel für die Bergleute und die Bestandteile für das Minenritual erwerben: Coca-Blätter, filterlose Zigaretten, 96-prozentiger Alkohol, und da man hier legal Sprengstoff beschaffen kann, kaufen wir auch Dynamitstangen und Zündschnüre.

Potosí - Minenmarkt

An der Mine angekommen, rüstet mich Ana mit Gummistiefeln,­ Gummihose und einer Jacke aus. Eine zweite schützende Haut, die für die Bilder, Worte und Emotionen der kommenden Stunden viel zu undicht ist. Sie setzt mir einen Helm auf und befestigt eine Lampe daran. Auf den ersten Blick sehe ich nun aus wie einer der Mineros – auf den zweiten Blick so gar nicht!

Potosí

Die Geschichte der Mine von Potosí

Wie alles begann

Nur vereinzelte Geräusche der Stadt erreichen die an einen Friedhof erinnernde Stille, die hier oben bedrückend die Stimmung beherrscht, als Ana zu erzählen beginnt: »Es war einmal der indianische Hirte Huallpa …«, beginnt sie, als sei alles, was nun folgt, nur ein erfundenes Märchen. Dabei wird sie mir eine der grausamsten Geschichten unserer Geschichte erzählen. »Dieser ließ im Jahr 1544 seine Lama-Herde auf dem unbewohnten Altiplano weiden. Als er am Abend bemerkte, dass eines seiner Tiere fehlte, beschloss er ein Feuer zu entzünden und in der Einöde, unter der bald das heutige Potosí entstehen würde, zu schlafen. Am nächsten Morgen war seine Herde noch immer nicht vollzählig, doch funkelte und glitzerte der Ort seiner Feuerstelle und silberne Tränen liefen den Berg hinunter«. Es ist nur eine von vielen Theorien über die Entdeckung der Silbermine, doch diese hält sich am beharrlichsten.­

Kaiserstadt Potosí

Kurze Zeit später befahlen die Spanier die Indios in den reichen Berg und beuteten diese in gleicher Weise aus wie den Cerro, unter dem sie am 10. April 1545 nur wenige Höhenmeter tiefer die Stadt Potosí gründeten. Nur acht Jahre nach der Gründung wurde Potosí zur Kaiserstadt ernannt, deren Wappen die Worte Ich bin das reiche Potosí, Schatzkammer der Welt, König der Berge, den Königen diene ich zum Neid zierten. Unterdrückung, Sklaverei und Massenmord standen Prunksucht, Gier und Ausbeutung gegenüber. Der Luxus der Einen, waren die Qual, die Folter und schließlich der Tod der Anderen.

Reichtum und Wachstum

Potosí war plötzlich reich, Potosí war groß und wurde stets reicher und hörte auch nicht auf zu wachsen. Eine immer größere Menschenmasse nahm die widrigen Bedingungen des Hochlandes ­bereitwillig auf sich und bewohnte die Stadt mit den vergoldeten Kirchen und den zahlreichen Lokalen. Sogar das Straßenpflaster­ bestand bald schon aus Silber. Nur einhundert Jahre nach der Stadtgründung zählte Potosí mit etwa 150.000 Einwohnern zu den größten und reichsten Städten der damaligen Welt.

Das Massengrab von Potosí

In einem Umkreis von über einhundert Kilometern suchten die Konquistadoren nach indigenen Arbeitskräften und entrissen die Männer ihrer Heimat. Der reiche Berg sollte für kurze Zeit ihr Zuhause werden. Einmal in der Dunkelheit gelandet, war es für die meisten das letzte Mal, dass sie frei und Mensch sein durften. Nur mit Coca-Blättern, Wasser und Sprengstoff ausgestattet, begannen sie ihre Arbeit, die fast immer der Tod beendete. Unaufhörlich sandten die Spanier die Indios in die immer tiefer führenden Stollen. Hinein in einen Zustand der Erschöpfung, in die Hölle auf Erden. Namenlos durch andere ersetzt, entstand binnen weniger Jahre ein gigantisches, anonymes Massengrab.

Angst und Ausweglosigkeit

Ana erzählt, dass Mütter ihre neugeborenen Söhne töteten und Männer sich als Frauen verkleideten, um dem von den Spaniern auferlegten Schicksal zu entkommen. Doch sie entdeckten jeden. So lange, bis in der weiten Umgebung kein Mann indigener Abstammung mehr auffindbar war und afrikanische Sklaven die unmenschliche Arbeit verrichten sollten. Doch diese erlagen der sauerstoffarmen Höhenluft.

Graf Lemos, der Vizekönig von Peru, schrieb im Jahr 1699: Nach Spanien wird nicht Silber, sondern Indianerblut und Indianerschweiß verschifft und der spanische Minenbesitzer Luis Capoche sagte: »Der arme Indio ist eine Währung, mit der man alles bekommt, was man braucht, wie mit Gold und Silber, nur viel besser«.

Mir wird schlecht

Nach Eduardo Galeano, einem uruguayischen Schriftsteller, sollen bis in das 18. Jahrhundert etwa acht Millionen Menschen ihr Leben in der Mine gelassen haben. Um diese abstrakte Zahl zu veranschaulichen, nutzt Ana eine Metapher: »Einer Legende zufolge können zwischen Potosí und Spanien zwei Brücken errichtet werden: Eine aus Silber bestehend, die andere aus den Knochen der krepierten Arbeiter«.

Dann schweigt sie und lässt mich mit dem Bild, das mein Kopf ganz unaufgefordert malt, allein. Ich versuche die Zahl zu schlucken, aber mein Körper will sie nicht verdauen. Irgendwo zwischen Kopf und Magen bleibt sie hängen und stellt sich quer. Mir ist schlecht. Ich will das Gehörte ausspucken, aber es hämmert sich in jede meiner Zellen ein.

Als der Silberstrom in Potosí versiegte

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versiegte der Silberstrom und mit ihm die am Fuß des Cerros gelegene Stadt, die er nährte. Menschen und Prunksucht verschwanden ebenso schnell, wie sie einst auftauchten, die Blüte der Stadt verwelkte so rasch, wie sie erschien. Und als die Geschäfte nicht mehr rentabel waren, versank die Stadt in Armut. … und da sie nicht gestorben ist, ist Potosí heute eine arme Stadt in einem armen Land, die jedoch noch immer von ihrer Mine abhängt.

Meine Geschichte in der Mine

Vor dem sandfarbenen Berg sortieren kleine Kinder und alte Bolivianerinnen die Gesteinsreste, die die Mineros aus der Mine förderten. Wie die Figuren des Märchens selektieren sie nur die Guten ins Töpfchen. Gekonnte Handbewegungen strahlen Routine aus. Versunken in den Gesteinen bezeugen die verschiedenen Generationen den Kreislauf eines Lebens in Potosí: Alles dreht sich um die Mine. Und nach wie vor im Kreis.
Denn noch heute arbeiten mehr als zehntausend Bergleute in den Stollen und suchen nach den letzten Resten der Mineralien. Darunter sind etwa eintausend Kinder.
Viele Arbeiter steigen bereits im Kindesalter das erste Mal in die dunkle Tiefe, wo sie die Jugend überspringen und nur wenige Jahre erwachsen sind, bevor ihr Antlitz dem Gesicht eines Greisen gleicht. Es ist ein Leben im Zeitraffer.

Vor dem Cerro Rico

Indianische Riten und Missionarsabsichten

Auch wir gehen zu einem der Schächte, die den Beginn von mehr als tausend Stollen darstellen und den Berg durchziehen wie Adern den Körper. Niemand weiß genau, wie viele Tunnel existieren. Ana zeigt auf den Eingang der Mine und verweist auf die dunklen Spuren, die ihn rahmen: »Über viele Jahre hinweg versuchten die Spanier die Indios zu missionieren. Die Indios, die weder etwas vom Papst noch vom Teufel gehört hatten, lebten ihren eigenen Glauben. Noch heute opfern sie an einem Tag des Jahres Pachamama, ihrer Gottheit Mutter Erde, ein weißes Lama und schütten dessen Blut an die Häuser und die Eingänge der Mine. Dieser indianische Ritus soll Glück und Reichtum bringen«.

Mein Blick klettert die Holzleiter herab und verliert sich nach wenigen Sprossen im schwarzen Nichts. Ana dreht meine Stirnlampe an. Ein kleiner Kreis bringt viel zu wenig Licht ins Dunkel.

Abtauchen ins Stollensystem des Cerro Rico

Wir klettern zwanzig Sprossen nach unten. Hinunter in die Enge, in das Schwarz, in den Geruch von Giftstoffen und den nicht wahrnehmbaren und dennoch unverkennbaren Geruch von Tod. Innerlich und äußerlich taucht ein Gefühl von Beklemmung auf. Nur nicht darüber nachdenken, denke ich, während ich darüber nachdenke. Ich möchte zumindest für einige Stunden erleben, wie die hier arbeitenden Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen. Ich möchte hinschauen und in die Vergangenheit reisen, nicht kneifen, wo andere es nicht dürfen.
Weiter nach unten, wo die Luft dünner und das Dunkel noch schwärzer ist. Die Tunnel werden enger und schon nach wenigen Schritten undurchschaubar. Ich verliere die Orientierung, die ich nie hatte. Jedes Zurück würde schon jetzt zu viele Möglichkeiten bieten. Ich bin angewiesen auf Ana, wir beide auf unsere Lampen. Nur nicht darüber nachdenken, durchfährt es mich erneut, nur vertrauen – auch wenn das hier so ungemein schwer fällt.

Potosí: Wo der Teufel ein Freund ist

Mit jedem weiteren Schritt steigen die Temperaturen stetig bis auf fünfunddreißig Grad an. Die Hölle verwehrt der eisigen Kälte des Hochlandes den Zutritt. Hier herrscht Hitze. Ein Fegefeuer, das eine Teufelsfigur bewacht. Am Ende des Tunnels leuchtet meine Grubenlampe plötzlich in ihr Gesicht. Ich erschrecke!

Der tio von Potosí

Schutzpatron der Bergleute, der tio

Ana erzählt, dass die Spanier die Figur in die Mine stellten, damit diese die ungläubigen Indios einschüchtere, bei der Arbeit beobachte und im besten Fall vor dem nahenden Tod zum christlichen Glauben bekehre. Für die Mineros hingegen, die den Glauben der ­­Konquistadoren nicht kannten, war die Teufelsfigur von Anbeginn ein Schutzpatron, den sie noch heute als tio, Onkel, betiteln. Für sie ist er Freund und Mitstreiter, Vertrauter und Gehilfe, bei dem sie an jedem Freitag das Minenritual abhalten, damit er die Freundschaft pflegt und mit dem Finden von Venen und dem Überleben belohnt.

Minenritual von Potosí

In absoluter Finsternis thront der tio gespenstisch in einer kleinen Grotte. Nur die Lichtstrahlen unserer Lampen lassen ihn erleuchten: Vergilbte Luftschlangen bilden sein Haar, Coca-Blätter sein grünes Kleid. Rotleuchtende Augen erwidern Angst einflößend meinen Blick, die Nase ist vom Zigarettenqualm verkohlt. Konfetti, ­Zigarettenstummel, leere Schnapsflaschen und Bierdosen zieren den Boden und bestimmen den Geruch. Runzelige Luftballons baumeln im stickigen Raum. Wie aus der gesamten Mine, ist auch aus ihnen jede Luft gewichen – Sinnbild der Vergänglichkeit, du passt hier her …

Auch wir begrüßen den gehörnten Berggott und führen den Ritus durch, um wieder Tageslicht erblicken zu dürfen. Ein komisches Gefühl dies hier zu erbitten, aber ich möchte mich nicht mit dem Teufel anlegen und schon gar nicht an diesem Ort.

Der tio vpn Potosí

Wir kleiden ihn mit Coca-Blättern ein und gießen großzügig die 96-prozentige Flüssigkeit über seine Schultern, Hände, Knie und auf den Boden, denn wie immer erhält auch Pachamama ihren Anteil. Und weil die Bergmänner glauben, dass der tio und Pachamama in der Nacht neue Venen zeugen, begießen wir auch des Teufels bestes Stück, um so die Fruchtbarkeit zu wahren. Dann einen Schluck für uns. Pur soll man ihn trinken, damit die Mineralien ebenfalls rein sind. 96-prozentiger Zuckerrohrschnaps rennt und brennt meine Kehle hinunter – das ist der einzige Weg, den ich heute problemlos verfolgen kann. Zuletzt ziehen wir an der Zigarette, bevor Ana sie dem Teufel glimmend in den Mund steckt. Er darf zu Ende rauchen, während wir diesen seltsam anmutenden Ort verlassen und den Teufel wieder seiner Dunkelheit übergeben.

Das Labyrinth von Potosí

Wir gehen weiter dem Nichts folgend, immer weiter in es hinein. Stapfen durch knietiefes Wasser, krabbeln durch nicht einmal ein Meter hohe Gänge und müssen immer achtsam sein, nicht in einem der Löcher zu versinken. Das Geräusch unserer Schritte schallt die Stollen entlang, die längst noch nicht sichtbar sind. Wie die Äste eines Baumes verzweigen sie sich und haben alle eines gemeinsam: In ihnen durchleben die Mineros die Jahreszeiten der Gefühle. Stets von der Hoffnung auf eine reiche Ernte getrieben und getragen, verbringen sie oft mehr als zehn Stunden in den kilometerlangen Tunneln der Mine. Für mich ist sie ein lebendiges Ungeheuer.

Aus den unterschiedlichen Stockwerken ertönt mal aus der Nähe, mal aus der Ferne, mal lauter, mal leiser, das donnernde Rollen der gerölltransportierenden Wagen, fast, als würde der Magen des Monsters knurren. Unter primitiven Bedingungen, die sich in den vergangenen vierhundert Jahren kaum verändert haben, ­transportieren die Bergmänner den Abraum ganz ohne ­Maschinenantrieb über die Holzgleise zu den Schächten, wo sie ihn an die Erdoberfläche befördern.

Staublunge

Aufgrund der verschiedenen Mineralien leuchten die Wände in unterschiedlichen Farben und glitzern mit giftigen Tropfen. Staub, Asbest und toxische Dämpfe schweben im Kanalsystem der Mine und durchziehen mit jedem Atemzug das Bronchiensystem meiner Lunge. Der eigene Körper verschmilzt mit dem Körper der Mine. Nach nur einer Stunde fühlt er sich vergiftet an. Ohne Atemmaske sind die Arbeiter diesen toxischen Gasen ihr gesamtes Leben ausgesetzt. Die Staublunge ist die häufigste Todesursache. Sie beendet das Leben etwa zehn bis fünfzehn Jahre vor dem bolivianischen Durchschnitt.

Hoch, runter, links, rechts, vor, zurück, diagonal. Je weiter wir gehen, umso größer ist die Gefahr, sich und das eigene Leben in den Tunneln zu verlieren. Die Mine ist ein Labyrinth ohne Ausweg. Es gibt nur den Weg zurück – und wird dieser nicht gegangen, weint der Berg heimlich ein paar weitere seiner silbernen Tränen.

Mineros von Potosí

Wie Maulwürfe haben die Mineros den Berg in den vergangenen Jahrhunderten durchbohrt, durchsprengt, durchsucht, durchfunden – und verloren. Mittlerweile ist er derart ausgehöhlt, dass mich die Angst, die Mine könne in sich zusammen stürzen, unentwegt begleitet. Ihr Skelett ist osteoporös. Doch noch hält es. Hält aus und trägt, wie die Arbeiter aushalten und ertragen. Sie sind die ­Blutkörperchen des Ungeheuers: Rot und weiß und doch alle grau. Arbeiten ununterbrochen in seinen Gefäßen, befördern zu wenig Sauerstoff und tragen den Plaque ab.
Tag und Nacht.
Zehn Stunden am Stück – dann kommen andere.
Vierzig Jahre – dann kommen andere.
Fünfhundert Jahre – es werden immer andere kommen …
Dialyse der Mine.

Ihr eigenes Leben ist längst in den Hintergrund gerückt. Es dient dem Überleben ihres Wirts, dessen Kreislauf nicht kollabieren darf, während sie selbst allmählich sterben. Sie trinken, sie rauchen, sie konsumieren. Sie hämmern, sie sprengen und wenn sie Glück haben, finden sie. Wir finden sie.

Das Stollensystem der Mine

Ana beginnt ein Gespräch, und als die Bergmänner ihre Werkzeuge aus der Hand legen und fragen, woher ich komme, werden die Blutkörperchen zu Menschen, die sich doch von allen unterscheiden, die mir bisher begegneten. Wie eine eigene Spezies passten sie sich über Generationen der Mine an. Mit ihrer gekrümmten Haltung, der grauen Kleidung und dem grauen Helm tarnen sie sich vor den steinernen Wänden.

Kreislauf

Sie sind klein und gezeichnet, ihre Hände rau und verletzt. Ihre Mienen sind ein Abbild der Mine: Ausgehöhlt, grob und zerfallen. Müde Augen, die denen eines Hundertjährigen gleichen, blicken leblos in die Dunkelheit. Das Leben hat sie müde gemacht. »Ich arbeite hier schon seit der Kindheit. Ich musste meinem Vater helfen, wie er seinem Vater. Nur so konnte unsere Familie überleben. Das ist illegal, aber interessiert niemanden. Damals nicht und heute auch nicht.«, erzählt einer der Bergmänner.

Coca-Blätter

Seine Backentasche ist ausgebeult, mit Coca-Blättern gefüllt. Er trägt seinen Motor im Mund, der die knochenharte Arbeit überhaupt ermöglicht. Die Zähne und Lippen sind vom ständigen Konsum tiefgrün verfärbt. Die Hojas de Coca halten wach, steigern die Leistungs­fähigkeit, rauben das Gefühl von Hunger und machen die dünne Luft erträglicher. Sie sind das einzige, was die Mineros zu sich nehmen. Blatt für Blatt schieben sie in ihre Wange, vier Stunden lang, dann lässt die Wirkung nach. Die grüne Masse wird ausgespuckt, unmittelbar durch Neue ersetzt.
So, wie alles im Cerro eben schon immer war.

Minero von Potosí

Monotonie der Mine

Ohne Frust, aber auch ohne jede andere Emotion schildern die Bergmänner ihr Dasein: Sich in die Mine abseilen, Stunde um Stunde mit Hammer und Meißel Löcher in die steinernen Wände schlagen, Sprengstoff platzieren und die Zündschnur in Brand setzen. Dann bleiben vier bis fünf Minuten, um die Kollegen durch Schläge an die Wand zu warnen und sich in Sicherheit zu bringen, ehe die nächste Tonne Gestein laienhaft, aber gekonnt aus dem Berg gebombt, das Labyrinth erweitert, die Orientierung erschwert wird.

Glück hat, wer an der richtigen Stelle sprengt, Unglück, wer nichts findet. Wenn man nicht vorher stirbt, stirbt die Hoffnung zuletzt.
Es ist eine sich stets wiederholende Tätigkeit, ein Leben lang.
Monotonie der Mine.

Alltag unter Tage in Potosí

Es ist ein Alltag unter Tage, der weniger Tage zählt, als der anderer Menschen. Er zählt oft nur bis vierzig.
Es ist eine Gleichförmigkeit, die meist nur dann ein Licht am Ende des Tunnels kennt, wenn ein anderer Minero entgegenkommt.
Es ist ein dunkles Dasein in finsterer Einsamkeit.
Ein bedrückendes Leben, ein beengtes Leben.
Eines Tages mögen sie Silber finden …
… doch wann finden sie Glück?
Oder ist das dann Glück?

Unmenschliches Menschsein

In ihren Augen suche ich nach dem Ausdruck, der die Gefühle verrät, die ihre Worte nicht enthalten. Doch der Blick in ihre rot-geäderten Augen reicht nicht tiefer, als mein Blick in die Stollen vordringen kann: Die Mine spiegelt sich in ihren Augen. Ihre sie umfassende äußere Welt gleicht ihrer sie ausfüllenden inneren Welt. Die Welt hingegen, die sich außerhalb des Stollensystems vollzieht, ist ein ihnen fremdes Milieu. Sie versinken in der Tiefe, wenn die Sonne aufgeht, und tauchen auf, wenn die Sonne untergegangen ist. Wie Nachttiere in ihrer Höhle leben sie als sei die Hölle unter Tage ihr Zuhause. Im schnellen Tempo durchkriechen sie flink die Stollen, kennen jede Erhebung und jede Kurve, jedes Geräusch und jedes Gestein. Verspeist von dem Ungeheuer, das sie selbst nährt, unterernährt, sind die Mineros längst Teil der Mine und funktionieren­ in ihrem Rhythmus.

Menschlichkeit

Wo ist der Mensch in dem Menschen, der gerade vor mir steht?
In einem kleinen dankbaren Lächeln, als wir die mit Coca-Blättern gefüllte Tüte übergeben, erkenne ich ihn. Ich bin froh, doch verleiht dieser Moment dem Ganzen eine andere Dimension.
Unmenschliches Menschsein!

Weitere Infos auf:
Wikipedia
Deutschlandfunk

Minimalismus leben – 5 Fragen an Christof Herrmann von einfachbewusst.de

Christof Herrmann

Christof Herrmann berichtet im Interview wie eine minimalistische Lebensweise im Alltag gelingt und zur Nachhaltigkeit beiträgt. Er teilt wertvolle Vorschläge für ein minimalistisches und aufgeräumtes Leben – vielen Dank, lieber Christof.

Interview mit Christof Herrmann

Lieber Christof, stell dich kurz vor: Wer bist du und was machst du? Und was ist deine persönliche Definition von Minimalismus?

Christof: Liebe Johanna, gerne doch. Ich heiße Christof Herrmann, lebe in einem putzigen 3-Zimmer-Häuschen in Nürnberg und verdiene meine Biobrötchen als freier Autor. Auf Einfach bewusst blogge ich über Minimalismus, Nachhaltigkeit, vegane Ernährung und Wandern.
Minimalismus bedeutet für mich, mit möglichst wenige Ballast zu leben. Jeder Mensch definiert diesen Ballast unterschiedlich. Meist hat es mit materiellem Überfluss, unnötigen Aufgaben und negativen Beziehungen zu tun.

Mehr Zeit für das persönlich Wesentliche   

Was empfindest du als die größten Vorteile einer minimalistischen Lebensweise?

Christof: Sobald man mit dem Vereinfachen beginnt, geschieht Erstaunliches. Man findet die Zeit und Muße, sich dem zu widmen, was einem wichtig ist. Statt sich durch Fußgängerzonen zu schieben, um nach Klamotten zu jagen, die sowieso nicht mehr in den Schrank passen, entspannt man sich mit einem Buch auf der Couch, wandert durch die Natur oder verbringt Zeit mit Familie und Freunden. Wer auf den Geschmack gekommen ist, verändert sein Leben von Grund auf. Ich zum Beispiel trennte mich von tausenden Dingen und wagte den beruflichen Neuanfang als Autor und Blogger.

Ein achtsamer Augenblick des Innehaltens führt zur Selbstbestimmung

Wer einmal damit begonnen und das gute Gefühl des „Weniger und Aufgeräumtseins“ kennengelernt hat, den lässt das Thema nicht mehr los. Und doch holt das Leben einen oft schnell wieder ein: Die Dinge sammeln sich an, der Kalender füllt sich, zu viele Gedanken belagern den Kopf, man trifft sich doch wieder mit einer Person, die die eigene Energie klaut.
Welche Rituale sind dein Schlüssel zur Beständigkeit?

Christof: Ich habe mir angewöhnt, mir ein paar Fragen zu beantworten, bevor ich etwas kaufe, etwas zusage, mich verabrede oder auch ein negativer Gedanke meinen Kopf belagert. Brauche und gebrauche ich diesen Gegenstand wirklich? Kann ich diese Aufgabe noch freudvoll auf mich nehmen oder habe ich bereits ausreichend zu tun? Möchte ich mich mit dieser Person gerade wirklich verabreden? Warum taucht dieser negative Gedanke auf und was kann ich jetzt tun, damit ich das Problem dahinter angehe? Mittlerweile ist mir dieses „Inmichhineinhören“ so zur Gewohnheit geworden, dass ich meist nur paar Augenblicke dafür brauche. Natürlich gelingt mir das nicht immer. Manchmal gehe ich eine Verpflichtung ein, um jemanden einen Gefallen oder eine Freude zu tun. Aber ich habe den Ballast in meinem Leben dadurch sehr reduziert.

Kleine Schritte mit großer Wirkung – vor allem, wenn viele sie gehen

Minimalismus und Nachhaltigkeit hängen untrennbar zusammen. Kannst du anhand von ein paar Beispielen erklären, wie und mit welchen kleinen dauerhaften Veränderungen der Einzelne etwas Großes für die Umwelt und ein gerechtes Miteinander in einer globalen Welt bewirken kann?

Wir sind heute eigentlich alle schlau genug, zu wissen, was wir tun müssen, um nachhaltiger zu leben. Weniger konsumieren (mehr leben), weniger Auto fahren (mehr zu Fuß gehen, Rad fahren und die Öffis nutzen), weniger fliegen (stattdessen Urlaub auf Balkonien, im eigenen Land oder in Ländern, die mit Bus und Bahn zu erreichen sind), weniger Tierliches essen (mehr Pflanzliches aus überwiegend regionalen, saisonalen und vollwertigen Lebensmitteln), mehr Energie sparen (auf kleiner Wohnfläche leben, energetisch sanieren, effizient heizen etc.) …

Jeder kann kürzer treten

Diese Zusammenhänge sind einleuchtend und finden immer öfter auch den Weg in die öffentlichen Medien. Wenn wir doch so viel wissen und hinsichtlich des Klimawandels so lange schon wissen wo wir stehen: Warum kommen wir nicht ins Handeln? Was ist deine Erklärung dafür?
Ist es Verklärung, Ignoranz, Egoismus, Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit, Kleingeistigkeit – oder alles zusammen?

Christof: Ich weiß es nicht. Sicher gibt es verschiedene Gründe, warum wir unseren desaströsen Lebenswandel beibehalten. Wir leben in der Ära des Zuviel. Zu viel Kram, zu viel Konsum, zu viel Arbeit, zu viel Aufgaben, Termine und Verabredungen, zu viele Wünsche und Ziele, zu viel im Kopf. Die Wirtschaft und Politik wollen das so, die Medien wollen das so und letztendlich wir selbst ja auch, weil wir das Spiel mitspielen. Aber jeder kann kürzer treten. Jetzt und heute. Erst mal im Kleinen. Die positiven Effekte treten ja schon ein, wenn man eine Stunde freischaufelt und sie für sich oder fürs Nichtstun nutzt. Solche Babyschritte fallen den anderen kaum auf. Wer Kängurusprünge macht, also das Auto verkauft, vegan lebt, nicht mehr fliegt, konsumkritisch wird, der stellt sich gewissermaßen ins Abseits. Es braucht viel Mut, Kraft und Ausdauer, das durchzuziehen. Und man wird sich teilweise neue Freunde suchen müssen. Ich habe das alles erlebt, bereue aber nichts.

Minimalismus in der Wohnung, im Kalender, in den Beziehungen

Dein Buch „Das Minimalismus-Projekt – 52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein“ ist im September 2020 im Gräfe und Unzer Verlag erschienen. Darin gibst du viele alltagsnahe Tipps und Beispiele.
Kurz und knapp – deine besten Tipps für ein minimalistisches und aufgeräumtes Leben:

Christof: Die besten Tipps gibt es nicht, weil jedes Leben unterschiedliche Bereiche hat, in denen ausgemistet werden sollte. Ich mache aber gerne drei Vorschläge.

  1. Ausmisten in der Wohnung – Rückwärts shoppen: Gehe mit einem Korb oder einer Kiste durch deine Wohnung und packe alles ein, was du nicht mehr (ge)brauchst. Du shoppst sozusagen im Rückwärtsgang. Die aussortierten Gegenstände verschenkst oder spendest du. Sofern du nicht verschuldet oder sehr knapp bei Kasse bist, rentiert sich ein Verkauf aufgrund des oft unterschätzten Zeitaufwands nur, wenn der Gegenstand 20 Euro oder mehr erzielen wird.
  2. Ausmisten im Terminkalender – Planlos sein: Plane einfach mal nichts. Kehre allen Verpflichtungen den Rücken zu. Lebe wie früher in den großen Ferien in den Tag hinein. Du wirst dadurch wieder durchatmen können, den Kopf freibekommen, Stress abbauen und Kraft tanken. Und es wird deine Spontanität und Kreativität fördern. Habe keine Angst, etwas zu verpassen oder als unproduktiv zu gelten. Du bist kein Roboter. Du nimmst dir frei, auch von dir selbst, weil das essenziell für dein geistiges und körperliches Wohlbefinden ist. Starte mit einem Nachmittag oder einem Sonntag. Fortgeschrittene nehmen sich vor, ein Wochenende oder eine Urlaubswoche lang nichts vorzuhaben. Kannst du die planlose Zeit nicht spontan nehmen, dann planst du sie – paradoxerweise – ein. Blockiere sie im Terminkalender.
  3. Ausmisten im Bekanntenkreis – Echte Freundschaften pflegen: Die minimalistische Lebensweise eröffnet die Chance, unsere Beziehungen zu verbessern und zu vertiefen. Wir überdenken das Erfolgs- und Leistungsstreben, Konsum und Kram verlieren an Bedeutung. Dadurch gewinnen wir Zeit für die Menschen, die uns wichtig sind. Wir können so einfacher Verabredungen treffen und uns dabei auch leichter nach unseren Freunden richten. Es ist jedoch nicht viel gewonnen, wenn wir diesen Freiraum dazu nutzen, die Anzahl unserer Beziehungen zu erhöhen. In unserer globalisierten und digitalisierten Welt sind alte Bekannte und neue „Freunde“ nur ein Billigflugticket oder eine Freundschaftsanfrage weit entfernt. Kontakte mit Tiefe und Verbundenheit entstehen auf diese Weise selten. In unseren Beziehungen sollten wir also mehr auf die Qualität und weniger auf die Quantität achten. Eine Handvoll echter Freundschaften wiegt mehr als hundert Bekanntschaften.

Lieber Christof, vielen herzlichen Dank für deine Zeit und dass du deine Gedanken mit uns teilst. Wenn meine Leser*innen mehr von dir und deinem Tun erfahren möchte, wo finden sie dich (Website, soziale Medien)?

Christof: Auf meinem Blog, auf Instagram und in meinem Newsletter, in dem ich einmal im Monat nicht nur meine neuen Artikel, sondern immer auch andere Lesetipps präsentiere. Du warst da ja auch schon mehrmals vertreten.
Ich danke Dir, Johanna. Hat Spaß gemacht, Deine Fragen zu beantworten.

Christof Herrmann schreibt über Minimalismus, Nachhaltigkeit, vegane Ernährung und Wandern. Mit www.einfachbewusst.de betreibt er den meistgelesenen deutschsprachigen Minimalismus-Blog und lebt dieses Thema seit Jahren im eigenen Alltag.
Nach mehrjährigen E-Mail-Kontakt durfte ich Christof im Rahmen seiner Wanderung vom südlichsten zum nördlichsten Punkt Deutschlands in 2018 persönlich kennenlernen und ihn auf seiner letzten Etappe zum Ellenbogen in List auf Sylt ein Stück begleiten.
Daher weiß ich: Christof lebt, was er schreibt und schreibt, was er lebt.

Christof Herrmann

Das Minimalismus-Projekt von Christof Herrmann

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Minimalismus-Buchempfehlung: In seinem neuen Ratgeber „Das Minimalismus-Projekt – 52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein“ teilt der Blogger und Autor Christof Herrmann 52 Möglichkeiten, um das eigene Leben zu entschleunigen und Ballast gegen Glücksgefühle einzutauschen.

Buchbeschreibung „Das Minimalismus-Projekt“

Christof betreibt mit www.einfachbewusst.de den meistgelesenen deutschsprachigen Minimalismus-Blog und lebt dieses Thema seit Jahren im eigenen Alltag.

In seinem Buch geht es nicht nur um das Entrümpeln von Besitz. Der Ratgeber verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz für weniger Haben und mehr Sein in allen Lebensbereichen. Denn Beschwerliches loslassen kann man überall: im Kopf, in Beziehungen oder in den eigenen Gewohnheiten.

In Zeiten von Überfluss, Überholspur und Überforderung beschreibt Christof alltagsnah anhand vieler Ideen und Beispiele, wie wir die zahlreichen Verpflichtungen, die ständige Erreichbarkeit oder das Konsumverhalten reduzieren können: Für weniger Stress, mehr Nachhaltigkeit und Zeit fürs Wesentliche.

Christof Herrmann

Nach mehrjährigen E-Mail-Kontakt durfte ich Christof im Rahmen seiner Wanderung vom südlichsten zum nördlichsten Punkt Deutschlands in 2018 persönlich kennenlernen und ihn auf seiner letzten Etappe zum Ellenbogen in List auf Sylt ein Stück begleiten.
Daher weiß ich: Christof lebt, was er schreibt und schreibt, was er lebt.
Ich lege euch sein Buch sehr ans Herz, weil es das eigene Leben so wunderbar erleichtert.

Erschienen im Gräfe und Unzer Verlag.
Preis Buch: 17,99 € (Hardcover, 240 Seiten)
Preis E-Book: 14,99 €
ISBN-13 Buch: 9783833873591
ISBN-13 E-Book: 9783833876158

Die Geschichte von den zwei Wölfen

Kurzgeschichten zum Nachdenken

Die Geschichte von den zwei Wölfen erzählt von den beiden Seiten, die wir alle in uns tragen. Es liegt an uns – an unserer Ausrichtung und unserer Einstellung – was wir in die Welt tragen wollen und wie sie uns wiederum begegnet. Es liegt auch an unserer Haltung, was wir in anderen Menschen zum Ausdruck bringen wollen.

Die Geschichte von den zwei Wölfen

Eines Abends erzählte ein alter Cherokee-Indianer seinem Enkelsohn am Lagerfeuer von einem Kampf, der in jedem Menschen tobt. 

Er sagte: „Mein Sohn, der Kampf wird von zwei Wölfen ausgefochten, die in jedem von uns wohnen.

Einer ist böse. Er ist der Zorn, der Neid, die Eifersucht, die Sorgen, der Schmerz, die Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, die Schuld, die Vorurteile, die Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen, der falsche Stolz und das Ego.

Der andere ist gut. Er ist die Freude, der Friede, die Liebe, die Hoffnung, die Heiterkeit, die Demut, die Güte, das Wohlwollen, die Zuneigung, die Großzügigkeit, die Aufrichtigkeit, das Mitgefühl und der Glaube.“

Der Enkel dachte einige Zeit über die Worte seines Großvaters nach, und fragte dann: „Welcher der beiden Wölfe gewinnt?“

Der alte Cherokee antwortete: „Der, den du fütterst.“

Und die Moral von der Geschichte von den zwei Wölfen?

Das Mindset trainieren und den richtigen Wolf füttern

Die Kraft unserer Gedanken und unserer inneren Ausrichtung ist sehr wirkungsstark. Wir können sie für uns einsetzen, aber auch gegen uns verwenden – ganz gleich, ob wir dies bewusst oder unbewusst tun. In jedem Fall gehen unsere innere und die äußere Welt in Resonanz.

Unser Mindset trainieren bedeutet gewissermaßen: Den richtigen Wolf füttern.

Im Rahmen meines Seminars auf Sylt – speziell im Impulsvortrag Mentale Stärke: Wie Gedanken dich stärken oder bremsen – mit Achtsamkeit zu gesunden mentalen Gewohnheiten – vertiefe ich das Thema. Mehr zum Thema Gedanken erfährst du auch in meinem Buch „Verlauf dich nicht – lebe einfach und bewusst“.

Krise als Chance – Tipps von 19 Expert*innen

Krise als Chance - Expert*innen im Interview

Krisen gehören zum Leben dazu, auch wenn wir diese Phasen gern überspringen wollen. Doch man kann eine Krise als Chance betrachten. Neben persönlichen Schicksalsschlägen, wirtschaftlichen Herausforderungen, Homeoffice mit gleichzeitiger Kinderbetreuung, Kontaktverboten usw. kann man mit verändertem Fokus auch eine andere Seite in der Corona-Krise entdecken: Entschleunigung, Miteinander, Kreativität, Fortschritte in der Digitalisierung, persönliche Entwicklung, ein Umdenken im Klimaschutz usw..

Nachdem ich den Artikel Corona: Krise, Herausforderung und Riesenchance veröffentlicht habe, war ich gespannt auf weitere Ansichten. Ich habe Expert*innen gefragt, welche Chancen ihrer Meinung nach durch die Corona-Krise entstehen.

Vielen herzlichen Dank an alle, die so spontan und engagiert mitgemacht haben. Ich wünsche euch viele Inspirationen in den Antworten dieses Beitrags.

Übersicht

Krise als Chance bedeutet: Schätzen, was wir oft für selbstverständlich halten

von Denise Colquhoun alias Fräulein Ordnung

„Höher, schneller, weiter … damit ist seit Mitte März schlagartig Schluss. Wenn ich einen Wunsch frei hätte dann wäre das, dass wir auch in Zukunft ein bisschen bedachter mit unserer Zeit und unseren Ressourcen umgehen. Wenn wir in Zukunft die Dinge schätzen lernen, die wir gerade am meisten vermissen und bisher für selbstverständlich gehalten haben. Ich bin ein großer Fan von bedachtem Konsum und habe die große Hoffnung, dass sich unsere Werte in Zukunft ändern werden. Gerade jetzt sehen wir, was wir wirklich brauchen und wie wenig das eigentlich ist.“

Die aktuelle Lage kann mich nicht erschüttern. Zwar musste auch ich mich Anfangs auf die neue Situation einstimmen, doch nach wenigen Tagen habe ich es als Chance gesehen. Als Chance, neue Wege zu finden und mich auf das Wesentliche zu fokussieren.

Was mir im Moment Kraft schenkt, ist ausreichend Schlaf, der Blick in den Garten und gutes Essen auf dem Tisch. Und als alleinerziehende Mutter von drei Kindern, sind die freien Wochenenden alle 14 Tage von ganz besonderem Wert. 

Denise Colquhoun hilft als Fräulein Ordnung Menschen, schöner zu wohnen und unnötigen Ballast abzuwerfen. Viele Anregungen, wertvolle Ordnungstipps – aber auch das kleine Glück gibt es auf ihrem Blog www.fraeulein-ordnung.de.

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Denise Colquhoun - Krise als Chance

Krise als Chance bedeutet: Üben, was gut tut und die eigene Stressfestigkeit verbessern

von Tobias Esch

„Corona bedeutet für fast alle von uns Stress. Manche haben ihre Arbeit verloren, andere werden von neuen Aufgaben überschüttet.  Manche haben plötzlich einen leeren Tag, den sie füllen müssen, andere müssen zuhause Home Office und Kinderbetreuung vereinbaren. Was uns alle betrifft: die Angst, dass jemand, den wir lieben, vielleicht schwer erkrankt oder stirbt. Keiner weiß, wie es weitergeht – gesundheitlich, wirtschaftlich, sozial.

Genau das ist Stress. Und so ist Corona eine gute Gelegenheit, an der eigenen Stressfestigkeit zu arbeiten, Das heißt: sich ganz bewusst neu aufzustellen und das, was wichtig ist und gut tut, zu üben, gerade jetzt: Regelmäßig essen. Kochen. Eine warme Hauptmahlzeit. Genug trinken. Früh ins Bett. Jeden Tag rausgehen oder zuhause bewegen. Kontakt pflegen zu Familie und Freunden. Andere unterstützen. Informationshygiene: Nur ein begrenztes, selbst gewähltes Maß an (bad) News am Tag zulassen. Täglich eine kurze Zeit der inneren Einkehr widmen. Entrümpeln: Es ist eine gute Zeit, um zu sehen, was wichtig ist und was man braucht – und was nicht. Vor allem aber: Sich immer wieder bewusst aus Grübeleien und Zukunftsängsten, so berechtigt sie sein mögen, lösen und auf das Jetzt, den gegenwärtigen Moment beziehen. All das erhöht unsere Möglichkeit, mit Stress besser umzugehen – jetzt und in Zukunft.

Übrigens: Die Uniambulanz Witten gibt auf ihrem youtube-Kanal einmal wöchentlich einen Impuls mit Anregungen zu genau diesen Elementen der Gesundheitsförderung und des Stressmanagements. Lassen Sie sich unterstützen und schauen Sie „bei uns“ rein!“

Und hier ist auch schon der erste clip:

https://www.youtube.com/watch?v=PGnTjcCAX58

Tobias Esch ist Mediziner, Gesundheitswissenschaftler und Autor und insbesondere im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention tätig. Als Pionier einer ganzheitlichen Allgemeinmedizin sowie als Experte für die Neurobiologie des Glücks, prägte er die Integrative Gesundheitsförderung in Deutschland.  Seit 2016 forscht und lehrt er an der Universität Witten/Herdecke.

Tobias Esch - Krise als Chance
Copyright: Lukas Schulze

Diese Krise ist eine Chance für Umwelt und Digitalisierung

von Dennis Fischer

„Jetzt ist die Zeit zum Investieren! Damit meine ich nicht nur das Thema „Geld investieren“, sondern vor allem sollten wir jetzt in unsere Zukunft investieren. Wenn wir die beiden Aspekte Proaktivität und Digitalisierung miteinander kombinieren und in unsere DNA aufnehmen, werden wir in den nächsten Jahren unaufhaltbar.“

Ich beobachte gerade zwei Typen von Menschen. Die einen sitzen die Corona-Krise aus, legen die Füße hoch und warten bis alles wieder wie früher wird. Die anderen haben verstanden, dass es nie wieder genauso wie vorher wird und nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand.
Sie bilden sich weiter, passen ihr Geschäftsmodell an oder helfen Menschen, denen es noch schlechter geht.

Ich wünsche mir, dass jetzt alle aufwachen und erkennen, dass diese Krise eine riesige Chance bietet. Neben der Umwelt, die gerade einen tiefen Atemzug nimmt und sich ein wenig erholt, bin ich vor allem von der schnellen Digitalisierung in Deutschland begeistert. Homeoffice, Remote-Meetings und zoom-Calls waren vor wenigen Wochen noch Fremdwörter. Jetzt sind sie nicht mehr wegzudenken.

Wenn wir diese beiden Aspekte: Proaktivität und Digitalisierung miteinander kombinieren und in unsere DNA aufnehmen, werden wir in den nächsten Jahren unaufhaltbar.

Dennis Fischer ist erfolgreicher Autor, Berater und Speaker. Bei allem was er tut, geht es ihm darum Menschen ins Handeln zu bringen und ihnen dabei zu helfen ihre Ziele zu erreichen.

Wenn du mehr über ihn erfahren möchtest, lies am besten sein Buch: „52 Wege zum Erfolg“ oder schaue auf seinem erfolgreichen Blog www.52ways.de vorbei.

Dennis Fischer - Krise als Chance

Krise als Chance für persönliche Entwicklung

von Sabrina Haase

„In jeder Krise steckt meiner Meinung nach viel Wachstumspotenzial. Immer dann, wenn wir etwas verlieren oder sich unser Umfeld verändert, beginnen wir, unsere Werte zu reflektieren. Das wiederum steigert unsere Veränderungsbereitschaft zugunsten unserer persönlichen Werte und Ziele. Wir wissen plötzlich wieder Dinge zu schätzen, die aktuell nicht möglich sind – zugleich bemerken wir aber auch, was uns gut tut und worauf wir getrost verzichten können.“

Welche positiven Veränderungen / Entwicklungen kannst du beobachten (bei dir und in der Gesellschaft)?
Für viele bedeutet es gerade viel Stress. Doch macht uns gerade dieser Stress auch kreativer, leistungsfähiger und emphatischer. So viel soziales Engagement und Mut, sich mit mehr oder weniger bekannten Menschen zu verbinden, ist sehr beeindruckend. Bei meinen Kunden beobachte ich auch, wie viele kreative Ideen und Aktionen aus der Not heraus entstanden sind,  auf die sie sonst nicht gekommen wäre. Allein die spontane Umstellung auf digitale Medien fand ich sehr spannend. Jeder Trainer war plötzlich online sichtbar. Ich selbst habe auch einen Teil meiner Kunden nun digital betreut. Für einen meiner Unternehmenskunden habe ich sogar ein Gruppencoaching online durchgeführt, was ich mir vorher in dieser Form nie vorgestellt hätte. Erstaunlicherweise waren meine Klienten viel offener und gesprächiger – vermutlich, weil sie sich in ihrer häuslichen Umgebung viel sicherer gefühlt haben.

Was gibt dir jetzt Kraft?
Das sind verschiedene Faktoren: zum einen meine Familie, meine täglichen Aufgaben und Strukturen, aber auch meine innere Einstellung. Ich nutze beispielsweise die Krise aktiv, um mich mit neuen, insbesondere digitalen Themen zu beschäftigen, die ich schon lange vor mich hergeschoben habe. Ebenso unterstütze ich vermehrt Menschen, denen es härter getroffen hat, als mich bzw. mein Unternehmen. Das tut sehr gut.

Was sollten wir uns von dieser Zeit bewahren? / Was wünschst du dir für “danach“ (im kleinen Kreis, aber auch für das große Ganze)?
Für gewöhnlich passen wir uns schneller wieder an alte Kontexte an, als gedacht. Wichtig ist es daher, schon jetzt genau zu überlegen, was wir wie beibehalten wollen. In meinem Falle ist es beispielsweise das positive, unterstützende Miteinander auch mit fremden Menschen, wie auch der vermehrte Einsatz digitaler Medien in meinem Business als Mental Coach. So sehr ich den persönlichen Kontakt schätze, machen uns digitale Medien eben auch unabhängiger, insbesondere in Krisen wie Corona, dessen Ende noch gar nicht abschätzbar ist.

Sabrina Haase (M.A. Sportwissenschaft und Psychologie, Mental Coach, Motivations- und Stress Expertin, Autorin) leitet das Performance Institute Hamburg.
Anlässlich der Corona Krise bietet sie am 28.4 zwischen 16-18 Uhr ein kostenloses 25min Impuls-Coaching an. Anmeldung über das Kontaktformular ihrer Seite mit dem Stichwort Instagram.

Sabrina auf Instagram | Xing

Sabrina Haase - Krise als Chance

Krise als Chance zum Lernen

von Christof Herrmann

„Ich glaube, dass wir – individuell, gesellschaftlich, politisch und institutionell – aus dem aktuellen Geschehen lernen und nach der Pandemie gestärkt und weiser hervorgehen werden.
(…)
Dass in der Gesundheits- und Krankenpflege Personalmangel herrscht, niedrige Löhne gezahlt werden, aber trotzdem die Verantwortung hoch und die Arbeitszeiten lang sind, ist seit Jahren bekannt. Geändert hat sich nicht viel. Während der Coronavirus-Krise verschärft sich der Pflegenotstand. Vielleicht ist das eine Chance, diesen wichtigen Beruf endlich aufzuwerten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das würden die Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und das Studium der Pflegewissenschaften attraktiver machen.“

Auszug aus dem Artikel 10 positive Aspekte, die wir der Coronavirus-Krise abgewinnen können, den Christof auf seinem Blog veröffentlicht hat, um der Verunsicherung und den negativen Nachrichten etwas Positives entgegenzusetzen.

Christof Herrmann schreibt auf seinem Blog www.einfachbewusst.de über Minimalismus, Nachhaltigkeit, vegane Ernährung und Wandern.

Christof Herrmann - Krise als Chance

Krise als Chance für die ungelösten Gefühle

von Sarah Hirschauer

„Schon irgendwie ein Luxus, viele Dinge tun zu können, die Herzensangelegenheiten sind. Das wäre doch dauerhaft eine Welt, in der jeder Zeit hätte, täglich seinen lieben Themen nachzugehen! Gleichzeitig kommt in so viel freier Zeit auch Schmerz hoch. Ungelöste Gefühle, die den Weg zeigen, dass alte Geschichten nicht mehr zum Neuen passen. Letztendlich wohl eine Einladung leichter unterwegs zu sein und die dann neu entstandene Kraft in guter Weise zu nutzen.“

Wenn ich über die Zeit nachdenke, dann gibt es gerade die “Zeit vor Corona“ und die “Zeit nach Corona“. Vor Corona war gefühlt vieles anders. Jetzt habe ich viel freie Zeit zur Verfügung, die gestaltet werden will. Wunderbar, um fast jeden Tag den Wald zu besuchen, das Gemüsebeet vorzubereiten und intensiv Yoga zu üben. Schon irgendwie ein Luxus, viele Dinge tun zu können, die Herzensangelegenheiten sind. Das wäre doch dauerhaft eine Welt, in der jeder Zeit hätte, täglich seinen lieben Themen nachzugehen! Gleichzeitig kommt in so viel freier Zeit auch Schmerz hoch. Ungelöste Gefühle, die den Weg zeigen, dass alte Geschichten nicht mehr zum Neuen passen. Letztendlich wohl eine Einladung leichter unterwegs zu sein und die dann neu entstandene Kraft in guter Weise zu nutzen.
Was mein Umfeld betrifft, bin ich inspiriert von den vielen Fahrradfahrern, die täglich an mir vorbeifahren. Sie gehen mit gutem Beispiel voran, was ich noch ausbauen könnte. Für den erwünschten Umweltschutz brauchen wir wohl auch mehr Zeit zur Verfügung, um neue Verhaltensweisen anzutrainieren und beizubehalten. Am meisten freut mich auch die “Geber-Mentalität“. Das einzubringen, was ein jeder ganz besonders gut kann und gebraucht wird im großen Ganzen. Beispiele gibt es überall und das Schöne ist, dass vieles was vorher nicht ging, plötzlich in rasantem Tempo umgesetzt wird.

Sarah Hirschauer ist Managerin für angewandte Gesundheitswissenschaften und unterrichtet Yin-Yoga und Entspannung. 

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Sarah Hirschauer - Krise als Chance

Krise als Chance zur Reflexion

von Lina Jachmann

„Eineinhalb Meter Abstand beherrschen das Land. “Social distancing“ nennen es die Medien. Doch der Begriff ist nicht ganz glücklich gewählt. Denn eigentlich geht es um Physical Distancing. Auf der einen Seite geht es also um Abstand, gleichzeitig ist zu beobachten, dass wir durch Corona enger zusammenrücken, aufeinander Rücksicht nehmen und uns über andere Kanäle verbinden. Es entsteht Raum für Solidarität und Kreativität.
(…) Vielleicht werden die Menschen rückblickend sagen, dass sie von Corona gelernt haben, dass die wichtigsten Dinge im Leben keine Dinge sind.“

Unsere Nachrichten dominiert seit Wochen nur ein einziges Thema: die Corona Krise. Es mag an der phonetischen Alliteration liegen und an den überwältigenden Auswirkungen, die diese globale Pandemie mit sich bringt, dass wir kaum eine Schlagzeile über die “Corona Chance“ zu lesen bekommen. Auf den ersten Blick erleben wir alle massive Einschränkungen und großen Verzicht. Wir können plötzlich nicht mehr normal zur Arbeit oder in die Schule gehen, nicht mehr Reisen und unsere Liebsten nicht mehr wie gewohnt treffen und in den Arm nehmen.

Eineinhalb Meter Abstand beherrschen das Land. “Social distancing“ nennen es die Medien. Doch der Begriff ist nicht ganz glücklich gewählt. Denn eigentlich geht es um Physical Distancing. Auf der einen Seite geht es also um Abstand, gleichzeitig ist zu beobachten, dass wir durch Corona enger zusammenrücken, aufeinander Rücksicht nehmen und uns über andere Kanäle verbinden. Es entsteht Raum für Solidarität und Kreativität: junge Menschen kaufen für Ältere ein und übergeben die Einkäufe kontaktfrei, Omas und Opas lesen ihren Enkeln per Video-Konferenz Geschichten vor und Freunde verabreden sich zum virtuellen Spieleabend.

In der Arbeitswelt kann die Digitalisierung nun ihr volles Potential entfalten. Verstaubte Strukturen und alte Gewohnheiten werden radikal hinterfragt und revolutioniert. Mit dem Ergebnis, dass manche Berufstätige überrascht feststellen, wie viele der – ach so wichtigen –Businesstrips der vergangenen Jahre durch eine einfache E-Mail oder einen Anruf hätten erledigt werden können.

Plötzlich ist Raum da, um den eigenen Konsum kritisch zu hinterfragen und neue Wege auszuprobieren. Abgesehen von der Grundversorgung haben die Läden geschlossen. Die Sharing Economy, Selbermachen, Neues Lernen und Tauschen stehen daher hoch im Kurs. Wer Nähen kann versorgt das Umfeld nun mit selbstgemachten Mundschutzmasken, Sauerteigstarter werden eifrig an Neubäcker*innen verschenkt, Kleidung und Konsumgüter gebraucht über Internetplattformen erworben und die Bohrmaschine kontaktfrei aus der Nachbarschaft geborgt.

Diese besondere Zeit gibt uns die Möglichkeit, um kurz innezuhalten und herauszufinden was wirklich wichtig ist. Vielleicht werden die Menschen rückblickend sagen, dass sie von Corona gelernt haben, dass die wichtigsten Dinge im Leben keine Dinge sind.

Lina Jachmann ist Kreativdirektorin und Autorin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Lifestyle und Zeitgeist. Bei Knesebeck sind ihre Bücher „Einfach leben“, der „Einfach leben – Praxis-coach“ und „Magic Morning“ erschienen. Die ersten beiden Bücher widmen sich dem Thema Minimalismus und das neuste Buch den Morgenroutinen.

Lina auf Instagram 

Lina Jachmann - Krise als Chance
Copyright: Marlen Mueller

In der Krise wieder mehr nach innen schauen und dort das Glück finden

von Cornelia Kausch

„Ich erfahre Freude und Zuversicht, Genuss mit dem was man hat, Zufriedenheit im Sein und im Hier und Jetzt. Ich erfahre einen wohlwollenden Austausch, ein Hallo wenn man sich regelmäßig begegnet, obwohl man sich nicht kennt. Ruhe und Sinnhaftigkeit sowie Kreativität und Zeit für Dinge, die ich immer schon anpacken wollte. Ich nehme wahr, wieviel Väter mit ihren Kindern unterwegs sind und Spass haben.
Und:
Ich erfahre Ängste und Kontrollverlust in der Gesellschaft, das was vermeintlich planbar war und auch Sicherheit gegeben hat, ist plötzlich nicht mehr planbar und dient auch nicht mehr als Anker, entsprechend muss ich etwas Neues suchen. Das macht die Menschen unsicher.

Ich wünsche mir die Einführung von Liebe und Zugehörigkeit als neue Messeinheit in unseren Unternehmen, mit einer Gewichtung die ähnlich stark ist wie Profit.

Welche Chance erkennst du in der aktuellen Situation?

Dass die Menschen tatsächlich diese Chance nutzen um mehr von Innen nach Aussen zu schauen und realisieren, dass nur im Innen das Glück und die Zufriedenheit liegt. Müßiggang ist aller Liebe Anfang, Ruhe, die wir erleben, die Explosion der Natur, die sich von unseren Nöten in keiner Weise tangieren lässt, ist fantastisch.

Welche positiven Veränderungen / Entwicklungen kannst du beobachten (bei dir und in der Gesellschaft)?

Ich erfahre Freude und Zuversicht, Genuss mit dem was man hat, Zufriedenheit im Sein und im Hier und Jetzt. Ich erfahre einen wohlwollenden Austausch, ein Hallo wenn man sich regelmäßig begegnet, obwohl man sich nicht kennt. Ruhe und Sinnhaftigkeit sowie Kreativität und Zeit für Dinge, die ich immer schon anpacken wollte. Ich nehme wahr, wieviel Väter mit ihren Kindern unterwegs sind und Spass haben.

Und:

Ich erfahre Ängste und Kontrollverlust in der Gesellschaft, das was vermeintlich planbar war und auch Sicherheit gegeben hat, ist plötzlich nicht mehr planbar und dient auch nicht mehr als Anker, entsprechend muss ich etwas Neues suchen. Das macht die Menschen unsicher. Ich spüre mehr Mißtrauen im Umgang miteinander, mehr Polarisierung und Feindseligkeit, mehr Fremdenhass und auch fehlende Reflektion. Ich spüre, dass die Menschen sehr gerne ein Bild davon malen, dass nach Corona die Dinge wieder so sein werden wie vorher.

Was gibt dir jetzt Kraft?

Meine tägliche innige und ausgedehnte Verbindung mit der Natur und mit den Menschen die ich liebe sowie auch meine Kunden, die meine Arbeit auch On-line annehmen und mich schätzen

Was sollten wir uns von dieser Zeit bewahren? / Was wünschst du dir für “danach“ (im kleinen Kreis, aber auch für das große Ganze)?

Mehr Ruhe und Besonnenheit, die Einführung von Liebe und Zugehörigkeit als neue Messeinheit in unseren Unternehmen, mit einer Gewichtung die ähnlich stark ist wie Profit. Reduktion von Reisen und dramatischer Zerfall der ‚Möchtegern Performer‘ denen durch die Krise die Plattform entzogen wurde und sie nunmehr keine Zuschauer mehr haben. Für mich selbst werde ich definitiv 80% meiner Consultings und Coachings online machen und weniger reisen. Und ich werde jeden Tag in die Natur gehen, um sie zu spüren, Kraft zu tanken und wahrhaftig zu sein. 

Cornelia Kausch berät und unterstützt Dienstleistungsunternehmen im Bereich Hotellerie, Gastronomie und Tourismus.

www.ckhospitality.de

Cornelia Kausch - Krise als Chance

Krise als Chance für mehr Geduld

von Natalie Klein

„Geduld heißt für mich: dem jetzigen Moment freundlich und ruhig entgegentreten. Ihm Raum und Aufmerksamkeit schenken. Sich der aktuellen Situation stellen und dabei achtsam reagieren – statt impulsiv.
Denn: Je mehr inneren Widerstand wir jetzt aufbauen – uns aufregen, weil wir wollen, dass es vorbei ist – desto unerträglicher wird die Situation.
Bleiben wir dagegen geduldig – mit uns und dieser schwierigen Zeit im Moment – werden wir das Ganze schonender aushalten. Geduld ist eine innere Haltung und mentale Strategie, die für unseren Kopf sowas ist wie der Akkusparmodus fürs Smartphone.“

Zugegeben: es ist im Moment echt hart, die Geduld NICHT zu verlieren.

Viele von uns mussten ihr Restaurant oder Geschäft schließen. Sind in Kurzarbeit. Müssen die Kids 24/7 zuhause bespaßen. Wer auf Jobsuche ist, erlebt Stillstand. Urlaub machen – geschweige denn planen – geht auch nicht.

Und vor allem: es ist weiterhin nicht absehbar, wann all das wieder „normal“ laufen wird.

Was wir trotz allem oder gerade deshalb jetzt wieder lernen. ECHTE Geduld. TIEFE Geduld.

Geduld heißt für mich: dem jetzigen Moment freundlich und ruhig entgegentreten. Ihm Raum und Aufmerksamkeit schenken. Sich der aktuellen Situation stellen und dabei achtsam reagieren – statt impulsiv.

Denn: Je mehr inneren Widerstand wir jetzt aufbauen – uns aufregen, weil wir wollen, dass es vorbei ist – desto unerträglicher wird die Situation.

Bleiben wir dagegen geduldig – mit uns und dieser schwierigen Zeit im Moment – werden wir das Ganze schonender aushalten. Geduld ist eine innere Haltung und mentale Strategie, die für unseren Kopf sowas ist wie der Akkusparmodus fürs Smartphone.

Wir müssen es nur ausprobieren.

Gib dir Zeit. Akzeptiere, wenn es gerade mal nicht weitergeht. Vertraue darauf, dass auch wieder andere Zeiten kommen werden. Das werden sie. Auch wenn es schwierig ist. Lerne echte Geduld als etwas Wertvolles wieder neu kennen.

Namasté, Natalie

Natalie Klein ist Achtsamkeitscoach. www.nownow-achtsamkeit.de
NOWNOW achtsamkeit by natalie klein.

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Krise als Chance für persönliche Erkenntnisse

von Hannah Klenk

„Natürlich ist es toll zu sehen, wie viel Solidarität viele Menschen in diesen Zeiten an den Tag legen. Allerdings gab es schon immer viele hilfsbereite Menschen und großartige Projekte. Mich macht vor allem der Gedanke glücklich, dass dieses Virus uns Menschen wieder bewusst macht, dass wir alle gleich sind. Ob Premierminister, Multimilliardär oder Flüchtling – niemand kann sich im Angesicht dieses Virus anderen überlegen fühlen. Ich hoffe, dass dieses Gefühl des „Einsseins“ auch nach der Krise weiter anhält. Außerdem empfinde ich es als positiv, dass ich gerade viel Zeit habe, über mich, meine Gefühle, Gedanken und meine Zukunft nachzudenken. Ich weiß, dass dieser Teil besonders für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine große Herausforderung darstellt. Aber für den Rest der Menschheit ist es sicherlich auch mal ganz gut. Vielleicht merken manche Paare erst durch die gemeinsame Quarantäne, dass sie längst nichts mehr verbindet. Oder der größte Partykönig erkennt, dass er mit dem Feiern nur seine tiefsten Ängste übertönt. Solche Erkenntnisse mögen erstmal hart sein, können uns alle aber als Persönlichkeiten und als Gesellschaft nur weiterbringen.“

Hannah Klenk schreibt auf ihrem Blog www.von-jetzt-nach-gruen.de über Nachhaltigkeit und einen bewussten Lebensstil.

Hannah auf Instagram

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Krise als Chance, um uns mit unserem Inneren zu verbinden

von Shivapriya Kluger

„Der Lärm und die Ablenkung im Außen überdecken nichts mehr. Wir können diese Stille nutzen, um uns mit unserem Inneren zu verbinden. Hineinspüren. Hinschauen. Uns rückbesinnen auf die Essenz und den Sinn unseres Lebens.
Warum bin ich hier? Wer bin ich, wenn alles im Außen zerbricht? Führe ich ein Leben, das ich aus tiefstem Herzen liebe? Liebe ich mich selbst? Was liebe ich an meinem Leben und bei was bin ich froh, dass es gerade nicht da ist?“

Viele Menschen verbringen aktuell so viel Zeit mit sich selbst, wie vielleicht ihr ganzes Leben noch nicht. Am Anfang fühlte es sich noch wie Urlaub an, doch umso länger man Zeit mit sich verbringt, umso mehr offenbart sich.

Es ist eine Zeit der Transformation. Alte Glaubensmuster, Ängste und vergrabene Gefühle zeigen sich und wollen gesehen werden. Der Lärm und die Ablenkung im Außen überdecken nichts mehr. Wir können diese Stille nutzen, um uns mit unserem Inneren zu verbinden. Hineinspüren. Hinschauen. Uns rückbesinnen auf die Essenz und den Sinn unseres Lebens.

Warum bin ich hier? Wer bin ich, wenn alles im Außen zerbricht? Führe ich ein Leben, das ich aus tiefstem Herzen liebe? Liebe ich mich selbst? Was liebe ich an meinem Leben und bei was bin ich froh, dass es gerade nicht da ist?

Wir kommen zurück auf die wirklich wichtigen Fragen und das ist eine riesige Chance um Klarheit für das eigene Leben zu finden. Wir können nun entscheiden ob wir uns mit der Angst verbinden oder die Chance nutzen um etwas ganz Wundervolles zu kreieren. Ein Leben in wahrhaftiger Selbstliebe und Fülle. Viele hören den Ruf und nutzen diese Zeit – das zeigen mir die vielen neuen Coaching-Anfragen rund ums Thema Selbstliebe und wie man sich ein authentisches, erfülltes Leben aufbaut.

Ich wünsche euch allen Gesundheit, den Mut zur Innenschau und Vertrauen in eure innere Stärke!

Shivapriya

Shivapriya Kluger ist zertifizierter Systemischer Coach, Yoga- und Ayurvedatherapeut und bietet Coachings & Healing Sessions, sowohl ortsunabhängig als auch in ihrer Praxis in Heilbronn, an.

www.selbstliebe2go.de

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In einer Krise können wir Entscheidungen hinterfragen – auf der individuellen und auf der gesellschaftlichen Ebene

von Anchu Kögl

„Sind wir im Leben da, wo wir sein möchten? Möchten wir schon seit langem etwas verändern? Gibt es Menschen, mit denen wir mehr Zeit verbringen möchten – oder vielleicht weniger?
Diese Krise ist eine große Chance, um uns selbst besser kennenzulernen. Um bisherige Entscheidungen zu hinterfragen. Um uns mit unseren Ängsten auseinanderzusetzen. Um uns zu fragen, was zum Teufel wir mit unserem Leben eigentlich machen wollen und ob wir nicht mal irgendwann falsch abgebogen sind.“

Jede Medaille hat ja bekanntlich zwei Seiten. Und so ist es auch mit der Corona-Krise.

Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass wir die Zeit finden, wieder mit alten Freunden in Kontakt zu kommen. Ich haben in den letzten Wochen ausgiebig mit zwei Freunden telefoniert, mit denen ich schon seit über 5 Jahren nicht mehr gesprochen habe.

Ein weiterer Vorteil ist, dass wir einfach deutlich mehr Zeit haben. Zeit um zu lesen. Um eine neue Sprache zu lernen. Um Zuhause auszumisten.

Ich habe mich in den letzten Wochen zum Beispiel sehr intensiv mit dem Thema Investition beschäftigt (Gold, Aktien, Bitcoin).

Doch den bei weitem größten Vorteil sehe ich darin, dass wir die Zeit und vor allem auch die Ruhe haben, um über uns selbst nachzudenken.

Sind wir im Leben da, wo wir sein möchten? Möchten wir schon seit langem etwas verändern? Gibt es Menschen, mit denen wir mehr Zeit verbringen möchten – oder vielleicht weniger?

Diese Krise ist eine große Chance, um uns selbst besser kennenzulernen. Um bisherige Entscheidungen zu hinterfragen. Um uns mit unseren Ängsten auseinanderzusetzen. Um uns zu fragen, was zum Teufel wir mit unserem Leben eigentlich machen wollen und ob wir nicht mal irgendwann falsch abgebogen sind.

Und genau diesen letzten Punkt wünsche ich mir nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch auf einer gesellschaftlichen.

Denn eines steht fest: so wie bisher, sollten wir nicht mehr weitermachen.

Anchu Kögl ist Mindset-Experte. Auf seinem Blog www.anchukoegl.com schreibt er über positives Denken, Loslassen und Ängste. Er erreicht monatlich über 100.000 Menschen mit seinen Artikeln und Videos. Falls du mehr von ihm lesen möchtest, fange mit diesem Artikel an: Positiv denken

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Krise als Chance für neues Entwicklungspotenzial

von Prof. Dr. Niko Kohls

„In der Auseinandersetzung mit dem Außergewöhnlichen, Unvorhersehbaren und Bedrohlichen kann der Mensch mitunter erst ein Entwicklungspotenzial entdecken und realisieren, dass ihm unter geordneten Alltagsbedingungen nicht zugänglich ist.
(…) Eine Krise wirft uns immer auf uns selbst zurück, und bietet die Möglichkeit, uns ernsthaft mit uns selbst auseinanderzusetzen.
(…) Die Tatsache, dass wir jetzt Alle eine kollektive Anomalie erleben, auf die jeder (s)eine Antwort finden muss, birgt aus meiner Sicht deswegen nicht nur große Gefahr, sondern auch eine große Chance für die Menschheit als solches!“

Da ich mich wissenschaftlich sowohl in meiner Diplom- als auch Promotionsarbeit und dann auch meiner Habilitationsschrift mit außergewöhnlichen Erfahrungen / Bewusstseinszuständen und ihrer Auswirkung auf Gesundheit beschäftigt habe, habe ich naturgemäß eine differenzierte Sicht auf Krisensituationen und ihre individual- und sozialpsychologischen Konsequenzen. Und meine eigene Lebenserfahrung, die natürlich auch durch bestimmte Krisensituationen geprägt war, wie es bei jedem Menschen der Fall ist, bestätigt dies.
Beispielsweise bin ich zu der Frage, was Selbstregulation ist und wie man diese entwickeln kann, als Teenager über eine eigene Erkrankung mit längerem Krankenhausaufenthalt und vielen Einschränkungen über einen längeren Zeitraum von fast einem Jahr, gekommen. Der Fragestellung bin ich treu geblieben, sie hat letztlich meine akademische Laufbahn bestimmt und ich verdiene, wenn Sie so wollen, damit nun mein tägliches Brot! Insofern bin ich im Nachhinein sehr dankbar und zufrieden, aber auch demütig, dass mir eine Krise den Weg gewiesen.

Natürlich stimmt das Bonmot, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Erst seit der Aufklärung haben wir uns mit dem Gedanken schwergetan, dass jede Krise auch ein Aufruf zur Veränderung und Entwicklung ist. Vermutlich liegt es daran, weil unsere modernen Gesellschaften – mit wenigen Ausnahmen – sehr risikoaversiv sind und eindeutige, stabile, vorhersagbare Situationen schätzen. Das hat sicherlich viele Vorteile, birgt natürlich als Kehrseite der Medaille auch die Gefahr der Gleichförmigkeit, Monotonie, und Langeweile (vor allem, wenn man nicht achtsam ist). Denn in der Auseinandersetzung mit dem Außergewöhnlichen, Unvorhersehbaren und Bedrohlichen kann der Mensch mitunter erst ein Entwicklungspotenzial entdecken und realisieren, dass ihm unter geordneten Alltagsbedingungen nicht zugänglich ist (hier könnte man dann von der Krise der Normalität sprechen). Wenn der Philosoph Hölderlin sagt „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ nimmt er damit die Erkenntnisse der Resilienz- und Traumaforschung vorweg, die ja bei einigen Menschen eine Form von posttraumatischen Wachstum beobachtet hat. Natürlich ist es auch so, dass viele Menschen nicht aus der Krise finden und in ihr gefangen bleiben. Denken wir nur an die vielen Menschen, die an einem Burnout erkranken und als Folge eine dauerhafte Form der Labilität, Fragilität und Vulnerabilität davontragen; ich bin also weit davon entfernt die Situation der Krise zu romantisieren. Aber ich finde man kann die unterschiedlichen Facetten einer Krise und die Anforderungen, die diese an uns stellt, anschaulich mit dem deutschen Wort „Aufgehoben“ erklären, das drei unterschiedliche Bedeutungen hat, die für eine Krise und deren Bewältigung psychologisch relevant sind:

  1. Im ersten Schritt bedeutet „Aufgehoben“, dass meine subjektive Normalitätswahrnehmung durch ein äußeres oder inneres Ereignis derartig destabilisiert wird, sodass sich im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen verliere. Meine Normalität, die ich kannte, ist nicht mehr vorhanden.
  2. Im zweiten Schritt erfordert dies von mir als Individuum eine Anpassung, mit der ich in der Lage bin, die Anomalie die in meinen Leben getreten, zu verändern oder meine Einstellung und Wahrnehmung so anzupassen, dass ich damit umgehen und leben kann. Wenn ich die Anomalie nicht aus der Welt schaffen kann, muss ich sie innerlich „aufheben“, indem ich mich und damit auch meine bisherige Identität transformiere.
  3. Wenn mir das gelungen ist, und ich die Anomalie – zumeist durch einen inneren Transformationsprozess – „aufgehoben“ habe bin ich in einem dritten Schritt in der Lage das verborgene Potenzial zu bergen, dass in der Krisensituation steckt und ich bin auf einer neuen Entwicklungsebene aufgehoben und durch die Krise „ein Anderer“ geworden.

An dieser Stelle wird natürlich deutlich, dass die Prozesse, oben angedeutet sind, viel mit Begriffen wie Achtsamkeit; Meditation oder Spiritualität zu tun haben und sogenannte Konversionserfahrungen kulturanthropologische Konstanten darstellen, die sowohl in religiös-spirituellen als auch säkularen Kontexten zu finden sind. Insofern wirft uns eine Krise immer auf uns selbst zurück, und bietet die Möglichkeit, uns ernsthaft mit uns selbst auseinanderzusetzen, so wie es der berühmte und vielzitierte Pfortenspruch über dem Orakel von Delphi fordert: „Erkenne dich selbst!“ – dies allein kann sehr heilsam sein. Die Tatsache, dass wir jetzt Alle eine kollektive Anomalie erleben, auf die jeder (s)eine Antwort finden muss, birgt aus meiner Sicht deswegen nicht nur große Gefahr, sondern auch eine große Chance für die Menschheit als solches!

Der Psychologe Niko Kohls beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren als Wissenschaftler und Berater schwerpunktmäßig mit den Zusammenhängen von Achtsamkeit, existentiellen Bedürfnissen, Werten sowie Gesundheit, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit.

www.niko-kohls.de

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Krise als Chance, um wieder einfacher zu leben

von Olaf Kopinke

Ich sehe in der Krise die Chance reduzierter zu leben und die eigenen Ansprüche auf ein „gesundes“ Maß zu reduzieren (zu müssen). Denn ich stelle erneut fest: Ich brauche nicht „mehr“! Es geht um das Achten auf das Wesentliche und um gute Beziehungen. Kraft gibt mir in dieser Zeit mein Glaube. Ich bin Christ, kein Kirchenchrist. Für danach wünsche ich mir, dass wir einfach einfacher leben.

Olaf Kopinke betreibt den Buchladen LeseNest in Isernhagen

www.lesenest.de

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Weniger Zeit für Konsum – mehr Zeit miteinander

von Laura Mitulla

Ich hoffe ganz stark, dass die Menschen merken, wie wichtig und wertvoll die gemeinsame Zeit mit anderen ist. Und, dass es gar nicht wehtut, wenn man mal nicht die neueste Trendkollektion bekannter Modehäuser shoppen kann. (…) Das spart nicht nur Geld, sondern auch wertvolle Ressourcen. Ich hoffe, dass viele nach der Krise weg von ihrem blinden Konsum kommen.“

Welche positiven Veränderungen / Entwicklungen kannst du beobachten?

Bei meinen Abonnenten auf Instagram habe ich herausgelesen, dass sehr viel weniger konsumiert wird. Das freut mich natürlich riesig, da in der Krise scheinbar öfter nur noch das gekauft wird, was man wirklich braucht. Das spart nicht nur Geld, sondern auch wertvolle Ressourcen. Ich hoffe, dass viele nach der Krise weg von ihrem blinden Konsum kommen.
Bei mir selbst beobachte ich, dass das Home Office einige Vorteile mit sich bringt. Beispielsweise spare ich mir die Fahrzeiten und kann endlich mit meinem Mann die Mittagspause zusammen verbringen. Natürlich freue ich mich auch wieder auf das Büro mit Kolleg*innen, aber ab und zu im Home Office zu arbeiten ist auch ganz schön.

Was gibt dir Kraft?

Kurz und knapp: Mein Mann. Ich wüsste nicht, wie meine Stimmung aussehe, wenn ich alleine in der Wohnung wäre. Daher bin ich unheimlich froh, dass wir hier wenigstens zu zweit sind, täglich zusammen kochen und Spieleabende machen können.

Was sollen wir uns von dieser Krise bewahren? / Was wünscht du dir für „danach“? 

Nach der Krise stehen wir ja überspitzt gesagt vor der großen Entscheidung: Konsum oder Freunde/Familie wiedersehen. Was zieht die Gesellschaft vor? Ich hoffe ganz stark, dass sich die Menschen für Letzteres entscheiden und merken, wie wichtig und wertvoll die gemeinsame Zeit mit anderen ist. Und, dass es gar nicht wehtut, wenn man mal nicht die neueste Trendkollektion bekannter Modehäuser shoppen kann.

Laura Mitulla lebt minimalistisch und ist die Inhaberin sowie Autorin des Blogazines the OGNC, wo sie Tipps und Inspirationen für ein minimalistisches und nachhaltiges Leben gibt.

Laura auf Instagram

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Krise als Chance, um zu verstehen, dass wir nicht alles kontrollieren können

von nachhaltig. kritisch

„Hinter jeder großen Krise versteckt sich eine ebenso große Chance. Aus der Corona-Zeit können wir lernen, dass wir als Menschheit nicht alles kontrollieren können. Wir lernen, dass wir loslassen dürfen und dass es okay ist, trotzdem Angst zu haben. Dass es Dinge gibt, vor die uns Geld, Wohlstand und Waffen nicht schützen können. Wir lernen, uns wieder über einen blühenden Kirschbaum zu freuen. Mit den Älteren und Schwächeren solidarisch zu sein. Wir haben die Chance, uns den stillstehenden Kapitalismus in allen Einzelteilen anzuschauen und vielleicht noch einmal zu reevaluieren, ob es an der Zeit sein könnte für ein neues System. Wir sehen am Krisenmanagement vieler Regierungen, dass spontane, unbürokratische und schnelle Zusammenarbeit möglich ist. Im Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels ist es sogar möglich, dass diese Krise unser größtes Glück ist, weil sie Stillstand erzwingt und jedem von uns heute schon zeigt, dass die Wirtschaft niemals über Menschenleben stehen sollte. Wenn ein paar dieser Erkenntnisse es schaffen, in einer neuen, Post-Corona Normalität Gestalt anzunehmen und weiterzuwachsen, können wir es schaffen, diese Krise in etwas Gutes zu verwandeln. Wir hoffen jedenfalls, dass das so ist. Denn das würde bedeuten, dass all die schrecklichen Opfer, die die Krise fordert, nicht umsonst gewesen wären.“

Hinter nachhaltig. kritisch stehen Robin, Annika und Annsi. Auf Instagram veröffentlichen sie gut recherchierte Beiträge zu nachhaltigen Themen in den Bereichen Mobilität, Ernährung, Konsum und aktuelles Geschehen. Ausführlich zu recherchieren bedeutet auch, populäre Meinungen in der „Nachhaltigkeitsblase“ zu hinterfragen und in manchen Fällen auch zu widerlegen.

nachhaltig.kritisch auf Instagram

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Krise als Chance zur Identitätsfindung

von Robert Schiller

„Ich wünsche mir, dass wir die Erkenntnis bewahren, mit kleinsten Handlungen zu einer großen Veränderung beitragen zu können. Und dass wir weit über die Krise hinaus das Bewusstsein für die Natur, uns selbst, andere und die Erde für ein neues, wertebewusstes Miteinander behalten.
Darüber hinaus wäre es toll, wenn wir ein Grundeinkommen einführen würden. Ich glaube fest daran, dass wir zu noch Größerem fähig sind, wenn Existenzängste keine Rolle spielen.“

Die Mischung aus Endzeitstimmung und Epochenwechsel bietet uns die Möglichkeit im Kleinen wie im Großen die Frage zu beantworten: „Wer will ich / wer wollen wir sein?“ Wir zeigen, wozu wir gemeinsam fähig sind – wenn wir es wollen. Wer bislang für Veränderungen im Leben Ausreden parat hatte, wird sie entkräftet sehen. Wer jetzt einen Neustart wagt, wird Zustimmung ernten.

Hinsichtlich positiver Entwicklung habe ich mehr Klarheit über die wesentlichen Dinge erhalten, die mir guttun und leider endlich sind. In erster Linie betrifft das die Familie und meine Lebenszeit. Gesamtheitlich gesehen nehmen wir unsere Mitmenschen wieder wahr und zwischenmenschliche Beziehungen nicht mehr als selbstverständlich hin.

Kraft gibt mir der wundervollen Natur beim Erblühen und Leben aus den Wanderschuhen heraus oder vom Fahrrad aus zu zusehen. Das ich mit Anfang 30 im Garten sitze und wahre Freude dabei empfinde, wie Vögel ihr Nest bauen, begeistert mich täglich und schenkt mir den Blick für Reichtum, der nichts kostet.

Ich wünsche mir, dass wir die Erkenntnis bewahren, mit kleinsten Handlungen zu einer großen Veränderung beitragen zu können. Und dass wir weit über die Krise hinaus das Bewusstsein für die Natur, uns selbst, andere und die Erde für ein neues, wertebewusstes Miteinander behalten.
Darüber hinaus wäre es toll, wenn wir ein Grundeinkommen einführen würden. Ich glaube fest daran, dass wir zu noch Größerem fähig sind, wenn Existenzängste keine Rolle spielen. 

Robert Schiller führt das LEISEmagazin, das Online Magazin für eine bewusstere Welt, das Menschen für die Themen rund um einen bewussteren Lebensstil im Einklang mit der Natur begeistern möchte.

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Krise als Chance zum Annehmen und neuen Gestalten

von der Glücksministerin Gina Schöler

„Dieses Gefühl in den Tag hineinzuleben und nur tageweise planen zu können, die gezwungene Spontanität, das tut uns allen auch mal gut und ich merke, wie sich eine Art Entspannung breit macht. Diese Art zu leben und zu denken sollten wir uns beibehalten – mehr Gelassenheit und Gemeinschaftlichkeit. Das führt automatisch auch zu mehr Glück.“

Als Glücksministerin stehe ich selbstverständlich für solche Themen wie Zufriedenheit, Wohlbefinden und seelische Gesundheit. Was tun, wenn solch eine kollektive Krise nun das Leben aller einschränkt und man so gar nicht von glücklichen Zeiten sprechen kann? Über das Glück sprechen! Und vor allem ihm Ausdruck geben, mit Leben füllen und andere damit anstecken.

Dabei plädiere ich aber für eine gesunde Balance zwischen Akzeptanz und Aktionismus. Die Situation auch erstmal zu realisieren, in ihr anzukommen, anzunehmen und alle Gefühle zu durchleben, die damit einhergehen, ist ebenso wichtig wie sich dann auch Gedanken zu machen, wie man im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv etwas für das Gute tun kann. Auch meine letzten Wochen waren voller bunter Emotionen, rauf und runter. Und das ist normal und ganz menschlich.

Erst war da dieses Gefühl des „Nicht-realisieren-wollens“, Ungläubigkeit, Trotz, Trauer um all die abgesagten Termine und Chancen, diese seltsame Stimmung draußen und auf der anderen Seite erlebe ich soviel Wärme und Solidarität, tiefere Augenblicke, herzliche Hilfsangebote, Kontakt zu lieben Menschen auf anderen Wegen, viel Kreativität und das Ausprobieren neuer Ideen und Möglichkeiten. 

Und irgendwie ist da auch eine Art „Erleichterung“ zu spüren. Dieses Gefühl in den Tag hineinzuleben und nur tageweise planen zu können, die gezwungene Spontanität, das tut uns allen auch mal gut und ich merke, wie sich eine Art Entspannung breit macht. 

Diese Art zu leben und zu denken sollten wir uns beibehalten – mehr Gelassenheit und Gemeinschaftlichkeit. Das führt automatisch auch zu mehr Glück.

Gina Schöler ist Glücksministerin und hält Workshops, Vorträge und Events zu den Themen Zufriedenheit, Positive Psychologie und Lebensgestaltung.

www.MinisteriumFuerGlueck.de
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Podcast: Das kleine Glück

Glücklich leben - Interview mit Gina Schöler

Krise als Chance, um aus der alltäglichen Routine auszubrechen

von Sarah Waltinger

„Eines hat mir Corona mal wieder ganz besonders vor Augen geführt: Vieles steht einfach nicht in unserer Macht. Somit versuche ich Dinge, die ich nicht ändern kann, so zu nehmen wie sie sind. Eine gute Gelassenheits-Übung.
Als Reisejournalistin hat mich die aktuelle Lage außerdem zu einer Pause gezwungen. Alle bisher geplanten Reisen wurden abgesagt. Dieser Einbruch führte aber auch dazu aus meiner alltäglichen Routine auszubrechen. Seit ein paar Wochen sprudele ich nur so über vor neuen Ideen und Projekten die ich – am liebsten alle gleichzeitig – angehen möchte. Und dank Corona und der momentan bescheidenen Auftragslage habe ich nun sogar die Zeit dafür.“

Mainzerin Sarah packt regelmäßig das Fernweh und kurz darauf ihren Koffer, um neue, faszinierende Orte zu bereisen oder an alte, lieb gewonnene zurückzukehren. Darüber schreibt sie seit 2012 auf Itchy Feet Blog.

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Corona: Krise, Herausforderung und Riesenchance

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Chance für eine neue Ordnung

Allen Herausforderungen und persönlichen Schicksalen zum Trotz, bietet die aktuelle Zeit mehr denn je eine Möglichkeit, in der sich vieles neu sortieren könnte – im eigenen Leben und im großen Ganzen.
Gedanken dazu findest du in diesem Artikel.

Sylt – das vergebliche Warten auf Gäste

Sylt. Wo man sonst das Frühlingserwachen gemeinsam mit Lachen feiert und draußen sitzend sehnsüchtig die ersten Sonnenstrahlen einfängt, hört man nun nur das Kreischen der Möwen auf der vergeblichen Suche nach Crêpes in den Händen der ausbleibenden Passanten.

Wie in jedem Jahr sahen die Unternehmer nach dem gästearmen Winter mit den nahenden Osterferien dankbar das Licht am Ende des Nebensaison-Tunnels.

Doch in diesem Jahr ist alles anders.

Geschlossene Geschäfte, Restaurants und Cafés. Alle mit Zetteln und der gleichen Botschaft versehen. Sonst ist kaum jemand zu sehen. Menschenleere Straßen und einsame Strände. Stille zwischen den Häuserreihen und Abstand zwischen den wenigen Personen. Der Autozug rollt nur noch halb so oft, die Syltfähre ruht die meiste Zeit im Hafen, Ausweiskontrolle in Niebüll.

März 2020 ist plötzlich nicht nur Nebensaison – es ist gar keine Saison.

Unversehens tauchte kurz vor dem Ende der Nebensaison der nächste Tunnel auf, als wären wir alle gegen eine Wand gefahren. Und nun fragen wir uns, wie die Welt danach wohl aussehen mag. Und wann wir sie wiedersehen dürfen.

Das öffentliche Leben liegt auf der Intensivstation und wir dürfen es nicht besuchen

Es ist eine Zeit, die vieles auf den Kopf stellt. Was wir als Gesellschaft und als Einzelne oft über Jahrzehnte aufgebaut haben, scheint nun binnen Tagen zu kollabieren. Als hätte jemand rücksichtslos auf das mühsam Erbaute, scheinbar so stabile, doch offensichtlich sehr fragile, eingetreten, steht unser Alltag still.

Selbstverständlich ist plötzlich gar nichts mehr.

Die Welt liegt in unsichtbaren Scherben, mit denen wir uns ungewollt und unwissend gegenseitig verletzen können. Es sickert nur langsam durch, was jetzt das Wichtigste ist: Abstand, Verzicht, Einschränkungen. Die Welt, wie wir sie funktionieren lassen, die selten nur stillsteht, schläft oder schweigt, ist lahmgelegt. Das öffentliche Leben wird heruntergefahren, als müsse es selbst künstlich beatmet werden und darum kämpfen, dass es irgendwie weitergeht.    

Es wird weitergehen. Nur wie? Das ist die große Frage.

Und die große Chance.

Denn im Zusammenfall der Bausteine liegt die Möglichkeit für eine neue Ordnung.

Für uns selbst und für das große Ganze.

Zwei Seiten – die andere Seite

Kurzarbeit und ausbleibende Einnahmen bei laufenden Ausgaben in der Selbstständigkeit – das reicht kaum für die Miete auf Sylt. Und doch fühle ich ein innerliches Aufatmen bei dem Gedanken an eine Pause, die länger andauert und von Größerem umwoben ist als der zweiwöchige Jahresurlaub. Dieser Stillstand tut meiner Seele gut. Und unserem Planeten erst recht. Hinter den finanziellen Einbußen kann ich einen Gewinn erkennen, der mir mehr bedeutet: Erholung für uns und die Erde, Verbundenheit und die Chance auf ein längst überfälliges Umdenken für eine neue Ordnung.

Wir werden förmlich dazu gezwungen zu entschleunigen, weniger zu konsumieren, uns mehr mit uns selbst und dem eigenen Leben und Lebensstil zu beschäftigen – Themen, die mich im tiefsten Inneren antreiben, die ich in meinen Seminaren vermittle und über die ich schreibe.

So erkenne ich allen persönlichen Schicksalen, allen beruflichen und finanziellen Herausforderungen und allen Einschränkungen zum Trotz auch eine andere Seite: Einen Raum, der uns durch die auferlegten Maßnahmen zugänglich wird, den wir sonst nicht hätten betreten können. Der uns für eine Weile raus aus dem Hamsterrad führt, uns Zeit schenkt und uns bei uns selbst ankommen lässt. Und nebenbei vielleicht noch die (Um)Welt rettet.

Ich will die aktuelle Situation nicht klein oder schön schreiben, aber versuchen, im unveränderlich Alarmierenden das Positive größer werden zu lassen.

Corona und die Chance das eigene Leben zu ordnen

Unser wunderbares Zusammenspiel

Kein Theater, kein Konzert; kein Schwimmbad, kein Fitnessstudio; kein Restaurantbesuch, kein Urlaub – alles hat zu. Und nun?

Das, was wir jetzt vermissen, zeigt die Wertschätzung für das, was wir sonst haben: Die Gesellschaft unserer Gesellschaft, das unbeschwerte Miteinander, das Gespräch am Straßenrand. Die Yogaeinheit im Fitnessstudio, der Besuch im Altenheim, das Tanzen durch die Nacht. Die spontane Zugfahrt zu Verwandten, das Miteinander von Großeltern und ihren Enkeln, der Urlaub. Der Cappuccino im Lieblingscafé, der Kinobesuch – Gesundheit und unsere Freiheit.

All das weckt die Dankbarkeit für das, über das wir sonst so scheinbar selbstverständlich verfügen, und schärft darüber hinaus das Bewusstsein für die Strukturen des Alltags und unser großes Miteinander: Wir sind wie ein großes Puzzle, das nur dann funktioniert, wenn jeder an seinem Platz wirkt. Nur dann greift alles ineinander. Nur dann funktioniert das System.

Erst das Aussetzen macht die unsichtbaren Fäden sichtbar und zeigt, wie wunderbar verbunden wir miteinander sind. Aber auch, wie verwundbar wir sind.

Was bleibt?

Die Reduktion und das Chaos im Außen führen nach innen und uns das Wesentliche vor Augen: Die Familie, die Kommunikation, das Zuhause, die Natur, die Nahrung für Körper, Geist und Seele.

Weit entfernt von Hektik, Stress und grenzenloser Mobilität bleibt nun Zeit für Selbstfürsorge und all die Dinge, die im Alltag oft zu kurz kommen. Denn weniger Möglichkeiten bedeutet auch: Weniger Termine und ein leerer Kalender. Es ist gewissermaßen geschenkte Zeit. Und zudem eine Situation, die nur für eine Weile bleibt. Wir sollten sie achtsam und dankbar annehmen und uns Langsamkeit und Muße erlauben. Denn in unserer sonst so außenorientierten, schnelllebigen Welt vergessen wir uns häufig selbst. Wenn das ewige Rasen, Hetzen und Zerteilen zum Stillstand kommt, können wir Kraft schöpfen. Anhalten und innehalten. Einfach sein, und den Leistungsdruck, die Geschäftigkeit und die ständige Erreichbarkeit von uns abfallen lassen. Jetzt können wir uns Zeit für das nehmen, was uns wichtig ist, und auch die losen Fäden verknüpfen, für die der Alltag sonst keine Lücken lässt.

Was macht man, wenn man nicht viel machen kann?

Wir können gärtnern, malen, Rezepte ausprobieren. Telefonieren und musizieren. Puzzeln oder Gesellschaftsspiele spielen. Podcast hören, schreiben, meditieren. Joggen oder spazieren.

In Bücherwelten versinken, gemütlich ein Glas Rotwein trinken. Die Zeit vergessen, an andere denken. Die Gedanken schweifen lassen und uns das Nichtstun erlauben. Stille und eine Tasse Tee genießen. Fotos sortieren und Wände dekorieren.

Die Schublade aufräumen, die Schränke ausmisten, den Keller entrümpeln. Die ungeschriebenen Briefe auf Papier bringen und die unausgesprochenen Gedanken in Worte fassen. Papierkram sortieren und Kaputtes reparieren. Geschwindigkeit reduzieren und uns regenerieren.

Wir können eine Inventur des eigenen Lebens durchführen und uns neu ausrichten: Was besitze, lebe, denke ich? Und was davon möchte ich behalten?

Wenn Dinge auseinanderfallen, können wir sie neu ordnen. Das schafft Klarheit. Wir können das vermeintlich Verlorengegangene als Einzelne wiederentdecken und als Gesellschaft beibehalten – ein bisschen langsamer, natürlicher und menschlicher leben.

Das Leben gestalten, Zufriedenheit bauen

Gerade wenn uns die Dinge aus der Hand gleiten, sollten wir sie wieder in die Hand nehmen. Es liegt eine große Macht darin äußerlich unveränderliche, als schwierig empfundene Situationen anzunehmen und das Leben aktiv zu gestalten. Das macht unsere Selbstwirksamkeit sichtbar und uns zufrieden. In der Gesundheitsförderung bezeichnet man dies als „Coping“. Auch wenn zunächst vieles aussichtslos erscheint, kann es besser weitergehen, wenn wir die Weichen neu stellen und mit Freude Neues formen. Wo sich Strukturen aufweichen, können neue entstehen. Jetzt ist die Chance, das Homeoffice zu etablieren und kerosinfreie Kommunikationswege anstelle der Business Class zu etablieren.

Corona und die Chance das große Ganze zu ordnen

Verantwortung für den Unbekannten

Von einem Ort ausgehend hat das Virus binnen weniger Monate alle Ecken der Welt erreicht.

Durch die Zahl der Infizierten und die sich über die Kontinente ausbreitenden roten Punkte der betroffenen Länder macht es die Globalisierung sichtbarer als sie es vielleicht jemals gewesen ist: Wir sind alle miteinander verbunden, auf indirekte Weise miteinander in Kontakt.

Das Virus setzt sich über Grenzen hinweg und zeigt Grenzen auf – in jeglicher Hinsicht: Am Rande der Nationen, für das Verhalten des Einzelnen und für uns als Gesellschaft. Die Bilder der vergangenen Wochen machen deutlich, wie schwer es fällt, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und Einschränkungen zu akzeptieren. Es dauert bis die Tiefe, der Schweregrad und die Ernsthaftigkeit nicht nur in unseren Köpfen ankommt, sondern auch zu einem anderen Handeln führt.

Selbstkontrolle bedeutet, auf naheliegende Belohnungen zu verzichten und eine größere in der Zukunft liegende Belohnung zu wählen. Abstrakt. Und herausfordernd. Denn der Mensch möchte sich im Jetzt gut fühlen. Noch abstrakter und herausfordernder, wenn dieses sinnvolle, bewusste Handeln obendrein für jemand anderen, nämlich aktuell für die Risikogruppe, die Belohnung verspricht – und nicht unmittelbar für einen selbst. Noch viel abstrakter, wenn es sich dabei um den unbekannten Kaffeebauern am anderen Ende der Welt handelt, für den man seine Kaufentscheidungen hinterfragt. Diese Momente fordern dem Egoismus einiges ab. Sie rücken Nächstenliebe, Umsichtigkeit, das globale Miteinander und eine größere Verbundenheit in den Vordergrund.

Wir sind privilegiert – auch in der Corona-Krise

Das Virus betrifft uns alle und trifft einen jeden doch ganz individuell in der jeweiligen Lebenssituation. Doch eines ist sicher: Es trifft die ärmeren Nationen mit den Menschen, die ihr Land vermutlich nie verlassen haben, am härtesten. Das ist ungerecht. Wo Abstand, Hygiene und medizinische Versorgung kaum gegeben sind, hat das Virus eine noch größere Macht. Keine hundertmilliardenschweren Rettungsschirme, keine Intensivstationen, manchmal nicht einmal Wasser, um sich die Hände zu waschen. Auch wenn hierzulande vieles einzustürzen scheint, leben wir in privilegierten Verhältnissen. Immer. Und auch jetzt. Das sollten wir uns öfter bewusst machen und uns in Dankbarkeit üben.

Es ist an der Zeit aufzuwachen, umzudenken und vor allem: An andere zu denken.

Und es ist Zeit, dass aus dem Denken ein anderes Handeln erwächst. Wir können nicht länger wissen, also hinsehen, und uns dann umdrehen und weggehen als hätten wir nichts gesehen. Wir tragen Verantwortung. Für uns selbst, für unsere Mitmenschen und für den Planeten.

COVID-19: Schlimm für den Menschen und gut für die Erde

Das Virus hat für uns eine Notbremse gezogen, die kein Politiker, kein Aktivist und keine Statistik je hätte auslösen können – und das, obwohl wir seit Jahren über Klimawandel und Umweltschutz reden. Doch solange wir nur reden und wirtschaftliches Wachstum um fast jeden Preis die Richtlinie ist, kann sich nichts verändern.

Das Virus schafft es nun mit ungefragter, rücksichtsloser Wucht und Dynamik als etwas so Kleines die ganze Welt auf den Kopf zu stellen: Geschlossene Geschäfte, leere Straßen, auf dem Boden bleibende Flugzeuge. Wirtschaft, Industrie, Wachstum, Globalisierung hin oder her – das aktuelle Geschehen zeigt auf, dass und wie schnell das moderne Leben einbricht, wenn eines auf dem Spiel steht: Unsere Gesundheit. Sie scheint uns weitaus bedeutender als die der Erde zu sein.

Weckruf und Chance – die letzte?

Der internationale Stillstand zeigt, dass sich die Natur vom Raubbau der Menschen schnell erholt: Weniger Smog über den Industriegebieten von China und Italien, klares Wasser in Venedig, Delphine im Hafenbecken der sardischen Hauptstadt, sich füllende Bergseen, weil das Wasser nicht zu künstlichem Schnee werden muss.

Das macht deutlich: Die positive Seite der Corona-Krise gilt nicht uns. Sie gilt der Erde, der wir zu viel genommen haben. Nun müssen wir unsere Freiheit und unser ökonomisches Wachstum genauso ungefragt hintenanstellen, wie wir der Erde über Jahrhunderte genommen haben.

Vielleicht ist der Stillstand die beste und auch die letzte Chance, um gerade noch rechtzeitig abzubiegen. Dafür müssten wir endlich begreifen, andere Prioritäten setzen und handeln.

Weitsicht

Und jetzt genieße ich die Stille – in der Luft und überall. Ich verliere mich im Blau des Himmels, das nicht von Kondensstreifen durchzogen ist, und vergesse die Zeit, wenn Seehunde nahe am Ufer spielen. Das Leben ist plötzlich so natürlich.

Und natürlich kann es nicht so bleiben. Aber es sollte auch nicht mehr so werden wie es war. Sonst wird es bald für immer anders sein. So viel Weitsicht, Intelligenz und Einsicht sollten wir beweisen. Es gibt etwas Größeres als das Heute und das Morgen; als das Geld und unsere Sorgen – etwas, das wirklich bleibt: die Erde.

Auf ihr sind wir nur für eine kurze Zeit zu Besuch und so sollten wir uns auch verhalten. Wir sollten den Tisch für die decken, die nach uns kommen. Denn alles ist verbunden. Deutlicher kann uns das nicht vor Augen geführt werden.

Den Blickwinkel ändern

Manche Dinge im Leben können wir erst im Rückblick verstehen. Vor allem Zeiten der Krise. Doch Leben ist Veränderung und Krisen beschleunigen sie – aber sie setzen auch Kräfte frei.

Es wird weitergehen. Nur wie? Das ist die große Frage.

Und die große Chance.

Ich wünsche mir, dass wir nicht einfach weitermachen wie zuvor, wenn wir den Tunnel am anderen Ende verlassen, sondern eine bessere und gerechtere Welt gestalten.

Ich wünsche mir, dass wir unsere Prioritäten neu setzen und uns auf das Wesentliche besinnen.

Dass wir demütiger werden und uns ein Stück Entschleunigung, Minimalismus und Nächstenliebe bewahren.

Wenn wir „danach“ bedachter handeln, bewusster leben und nachhaltiger konsumieren, ist es möglich, den aktuellen Zustand nicht als ein Ende anzusehen, sondern als einen gemeinsamen Neuanfang zu begreifen.

Ein einfaches Leben: Zurück zum Wesentlichen

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Ein einfaches Leben zu führen scheint in unserer schnellen, digitalisierten und vollen Welt immer schwieriger zu werden. Auf meiner Reise durch Südamerika im Jahr 2010 bin ich dieser Einfachheit häufig begegnet. Ich fragte mich, ob nur ich durch mein Leben rase, oder ob auch mein Leben an mir vorbeirast und wir beide vielleicht so schnell sind, dass wir uns gar nicht begegnen. Ein paar Gedanken, die mir während einer Busfahrt durch die Anden durch den Kopf gingen:

Ein einfaches Leben

Ein einfaches Leben

Diese Einfachheit fragt beinahe vorwurfsvoll, warum ich so viel mehr benötige als die hier lebenden Menschen besitzen: Eine kleine Hütte aus Holz, eine Küche, ein Bett. Früchte und Gemüse aus dem eigenen Garten und eine Toilette am anderen Ende des Grundstücks. Die Aussicht steht im Kontrast zum kleinen Eigentum – unendliches Terrain. Von wenigen Augen betrachtet, von den betrachtenden Augen bewundert.

Außer Luxus scheint es alles zu geben.
Oder ist vielleicht gerade das der wahre Luxus?

Einfach leben und alles besitzen

Wenig zu haben und doch alles zu besitzen.
Einfach zu leben, aber den Lebenssinn nicht über die Materie zu definieren.
Abgeschieden zu leben, aber das Alleinsein aushalten können.
Leere zu erfahren, aber das Nichts-Tun als Tun empfinden können.
Den Tönen der Welt nicht zu lauschen, aber die innere Stimme zu vernehmen.
Frei zu sein von dem Streben nach Größerem und nicht Teil einer Gesellschaft zu sein, die Angst vor dem Versäumen hat und sich mit ihrem eigens auferlegten Leistungsdruck selbst erdrückt.

Die Dunkelheit nicht einfach durch einen Lichtschalter ausschalten zu können, aber im Einklang mit der Natur zu leben.
Ist das der größere Reichtum?
Das Tor der modernen Welt nur von außen zu betrachten und nicht durch es hindurchzuschreiten?
Bei Blicken in die ruhenden Gesichter am Straßenrand glaube ich, dass ein mittelloses Leben mit immaterieller Fülle wertvoller ist.

Einfach leben in der heutigen Zeit

Ohne E-Mails, die stillschreiend klagen, dass sie schneller beantwortet werden wollen – einzig im Gespräch mit sich selbst.
Keine Bürokratie – aber Träume in die Luft malen.
Kein materieller Überfluss – der Blick ist frei für das Wesentliche.
Kein Haschen nach Wind, kein Verschwenden der Stunden, kein Streben nach immer mehr, immer größer, immer schneller.
Keine endlosen To-Do-Listen, kein Überangebot, kein Zeitdruck.

Einfach sein, um zu Sein.
Einfachsein, um einfach zu Sein.
Ist das dann Langeweile? Sinnlosigkeit? Einsamkeit?
Oder Achtsamkeit, Erfüllung, der Sinn?

Doch was schreibe ich…
Inmitten der Einfachheit versteckt sich vermutlich die Armut, die ich nur von außen erlebe, aber nicht von innen erfahre.
Ich fühle mit, aber ich muss sie nicht spüren.
Ich bin mittendrin und doch nie mehr als eine Zuschauerin.
Wann immer ich möchte, kann ich die Bühne verlassen, denn ihr Labyrinth hält mich nicht gefangen. So ist es mir nicht erlaubt, die Faszination für die Ursprünglichkeit zu romantisieren …

Der Text ist ein Auszug aus meinem Buch Schlaflos in der Regenzeit

Musik zum Thema: Willy Astor – Einfach sein

Die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann

Kurzgeschichten zum Nachdenken

Die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann führt vor Augen wie sehr wir uns in unserer materialistisch geprägten Leistungsgesellschaft im „Schneller, Weiter, Höher“ verrennen. Weniger ist manchmal mehr und dem Kern des Lebens näher.

Die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann

In einem sonnigen Fischerdorf legt ein Fischer mit seinem kleinen Boot am Pier an. Er hat einen großen Thunfisch gefangen. Ein Berater, der gerade Urlaub macht, beobachtet den Fischer bereits seit einigen Tagen. Er gratuliert ihm zum heutigen Fang und fragt: „Wie lange warst Du auf See, um diesen Fisch zu fangen?“

Der Fischer antwortet: „Nur ein paar Stündchen.“

Daraufhin fragt der Berater: „Warum bleibst Du nicht länger auf See, um mehr Fische zu fangen?“

Der Fischer erwidert: „Dieser Fang reicht mir, um meine Familie für ein paar Tage zu versorgen.“

Der Berater ist verwundert: „Was tust Du denn mit dem Rest des Tages?“

Der Fischer erklärt: „Ich fahre nach Hause. Nach dem Mittagessen gehe ich mit meiner Frau spazieren und mache eine Siesta. Dann spiele ich mit meinen Kindern. Abends kommen Freunde, wir genießen den Fisch, trinken Wein und philosophieren über Gott und die Welt. Wie Du siehst, habe ich einen gut ausgefüllten Tag.“

Optimieren – zu welchem Preis?

Der Berater antwortet: „Ich habe studiert und kann Dir helfen. Wenn Du den ganzen Tag fischen gehst, fängst Du mehr Fische. Dann kannst Du die übrigen Fische verkaufen. Von dem Erlös kannst Du bald ein größeres Boot kaufen. Für dieses Boot heuerst Du zwei, drei Fischer an. Ihr werdet so viel fischen, dass Du schon bald mehrere Boote kaufen und eine eigene Flotte aufbauen kannst. Statt an einen Händler verkaufst Du die Fische direkt an eine Fischfabrik. Bald wirst Du soviel verdienen, dass Du eine eigene Fischverarbeitungsfabrik eröffnen kannst. So sparst Du Geld und kannst die Produktion und den Vertrieb selbst kontrollieren.“ Der Berater wurde ganz euphorisch bei diesen Gedanken.

Der Fischer erwidert unbeeindruckt: „Und wie lange wird das dauern?“

„So etwa 15 bis 20 Jahre“, erklärt der Berater.

„Und was ist dann?“, fragt der Fischer.

„Dann kommt das Allerbeste“, antwortet der Berater: „Wenn die Zeit reif ist, verkaufst Du Dein Unternehmen und kannst aufhören zu arbeiten. Du kannst morgens ausschlafen, zum Spaß noch ein wenig fischen gehen und den restlichen Tag mit Deiner Familie und Deinen Freunden genießen.“

„Aber genau das tue ich doch jetzt schon“, sagt der Fischer, „nur dass meine Kinder dann aus dem Haus sind.“

Und die Moral von der Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann?

Rückbesinnung auf das Wesentliche: Was ist wirklich wichtig?

Die Geschichte vom Fischer und Geschäftsmann zeigt, dass mehr nicht immer besser oder einfacher bedeutet.
Es ist gut zu wissen, was im Leben wirklich wichtig ist und die Lebenszeit entsprechend zu gestalten. Und manchmal ist es gut, aus dem selbst gemachten Hamsterrad wieder auszusteigen und etwas langsamer weiterzugehen, um zu genießen, was ist.

Bewusster leben – darum geht es auch in meinem Achtsamkeitsseminar auf Sylt und in meinen Büchern. Im Rahmen des Seminars bestimmen wir u.a. die persönlichen Werte. Dieser innere Kompass ist ein hilfreiches Werkzeug für mehr Zufriedenheit und Fokus auf das persönlich Wesentliche.

Die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann ist angelehnt an die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll.