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Achtsamkeit als Schreibpraxis

Happy Birthday, liebes Tagebuch!

7 Minuten Lesezeit

Wie kann uns das tägliche Schreiben in unser Achtsamkeitspraxis unterstützen? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Tagebuch und einem Journal? Und weshalb kann es uns so gut tun, täglich zu schreiben? Das haben wir uns anlässlich des Welttags des Tagebuchs am 12. Juni einmal genauer angesehen.

Ein Gastartikel von Christine Gräbe

Schreibst du noch oder journalst du schon?

Ob Tagebuch, Journal oder Bullet Journal  – immer ist das tägliche Aufschreiben von Gefühlen, Gedanken und Erlebnissen gemeint. Im Vergleich zu Journal oder BuJo klingt das gute, alte Tagebuchschreiben fast ein bisschen altmodisch. Aber auch im Journaling verbirgt sich das französische Wort für Tag (jour) und bei genauerem Hinsehen ähneln sich die Methoden zur Selbstreflexion sehr. Das Gute ist: Für das tägliche Schreiben brauchen wir, ganz gleich, für welche Methode wir uns entscheiden oder wie wir sie benennen, erst einmal nicht mehr als ein Notizbuch, einen Stift und ein bisschen Ruhe.

„Liebes Tagebuch, das war vielleicht ein Tag!“ 

In einem Tagebuch dokumentieren wir, was wir erlebt oder gefühlt haben, und beschreiben unseren Tag, als würden wir jemandem davon berichten. Typischerweise greifen wir vor allem in schwierigen Lebenssituationen auf ein Tagebuch zurück, beispielsweise wenn wir Liebeskummer haben, keinen Ausweg wissen oder einen Verlust erleiden. Auch als Teenager, wenn wir uns von allen unverstanden fühlen und uns unsere Gefühle oft überwältigen, vertrauen wir uns und unsere geheimsten Gedanken unserem Tagebuch an. Wenn wir älter sind, sind es eher Ausnahmesituationen wie eine Krankheit oder auch eine längere oder besonders weite Reise, die wir beschreiben. In unserem Tagebuch halten wir all die Eindrücke und Erlebnisse eines Tages fest, um unseren Gefühlen Raum zu geben, die Situation besser zu verstehen oder um uns später an die vielen Details erinnern zu können.

Freies Schreiben

„Einfach drauflosschreiben!“ ist sehr viel leichter gesagt als getan – es gilt daher erst einmal zu üben, all die Stimmen in unserem Kopf abzustellen, die sich umgehend zu Wort melden, sobald wir unsere Gedanken und Gefühle unzensiert zu Papier bringen wollen. 

Mehr darüber, wie du die Technik des Freewritings üben kannst, erfährst du in diesem Artikel: Freewriting und Morgenseiten .

Wenn Schriftsteller:innen Tagebuch führen

Meist schreiben wir ein Tagebuch nur für uns, aber wir können natürlich auch einen Reiseblog für unsere Lieben veröffentlichen, um sie mitzunehmen, oder unser Leben schon einmal für die Nachwelt dokumentieren. Berühmte Autor:innen wie Goethe, Thomas Mann oder Silvia Plath schrieben Tagebücher, die später veröffentlicht wurden. So wissen wir, dass Thomas Mann am 7. Juli 1934 „wieder begonnen“ hat „morgens nackt ein wenig zu turnen“ und erfahren auch sonst viel über den Alltag des Schriftstellers.

Heute führen manche Schriftsteller:innen öffentlich Tagebuch in den Sozialen Medien und berichten dort Tag für Tag von der Sterbebegleitung ihrer Eltern oder schreiben über ihre Depression, wie beispielsweise Karen Köhler oder Benjamin Maack auf Instagram.

Den Alltag begleiten – mit und ohne Muße

Doch ein Tagebuch zu schreiben, das später zu einem Zeitzeugnis wird, ist keineswegs Publizist:innen oder berühmten Personen vorbehalten: Das Deutsche Tagebucharchiv in Emmendingen archiviert seit 1998 private Aufzeichnungen, um Alltagsgeschichte zu dokumentieren. Denn natürlich kann ein Tagebuch nicht nur besondere Situationen oder Gefühle für uns oder andere bewahren, es kann uns auch im Alltag begleiten, in unserem ganz gewöhnlichen Leben mit unseren ganz gewöhnlichen und auch außergewöhnlichen Sorgen und Gedanken.

Ein ganz besonderer Zwitter zwischen Journal und Tagebuch ist das „Tagebuch für gute und schlechte Tage“, das die Künstlerin Doro Ottermann für Menschen in Eile erfunden hat. Es ist auf so viel Begeisterung gestoßen, dass es ihre Tagebücher zum Ankreuzen und Ausfüllen inzwischen auch für Paare, Alltagshelden oder Reisen gibt. So lässt sich täglich reflektieren, auch wenn es an Muße oder Geduld zum Schreiben mangelt.

Woher kommt der Tag des Tagebuchs? 

Am 12. Juni 1942 bekam ein kleines Mädchen in Amsterdam von ihrem Vater zum 13. Geburtstag ein Notizbuch geschenkt. Anders als vorgesehen benutzte das Mädchen das in rotweißen Stoff gebundene Büchlein nicht als Poesiealbum, sondern begann noch am selben Tag Tagebuch zu schreiben. Ihr erster Eintrag lautete:

„Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt hab, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.“ (Aus den Tagebüchern, Reclam 2016)

Das kleine Mädchen, das Schriftstellerin werden wollte, hieß Anne Frank und musste sich wenige Wochen nach diesem ersten Eintrag mit ihrer jüdischen Familie verstecken. Ihre Erlebnisse und Gedanken vertraute sie auch weiter ihrem Tagebuch an, und schrieb ihren letzten Tagebucheintrag im Sommer 1944, drei Tage, bevor sie verhaftet wurde. 1945 starb sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Heute kennen fast alle ihren Namen: Anne Franks Aufzeichnungen eines Alltags im Ausnahmezustand wurden nach dem Krieg veröffentlicht. Ihr Tagebuch wurde in 70 Sprachen übersetzt und zählt bis heute zu den meistübersetzten und meistgelesenen Büchern der Welt.

Bis heute wird jedes Jahr an Anne Franks Geburtstag, am 12. Juni, der Welttag des Tagebuchs gefeiert.

Morgenseiten

Journaling: Im Schreiben Fokus finden

Anders als beim Tagebuch, in dem wir mehr oder weniger frei drauflosschreiben, gestalten wir unsere Notizen beim Journaling meist bewusster. Dabei haben wir oft ein ganz bestimmtes Ziel oder Anliegen im Kopf. Vielleicht beschäftigt uns eine schwierige Frage, auf die wir eine Antwort finden wollen, möchten uns über etwas klar werden oder uns auf eine bestimmte Sache fokussieren.

Beim Journaling nutzen wir daher oft vorgegebene Strukturen und konkrete Impulse. So gibt es Journale, die 6-Minuten-Tagebücher heißen, oder Eine-Zeile-pro-Tag-Tagebücher, die über einen Zeitraum von fünf Jahren geführt werden, oder Hefte, in denen wir täglich Drei Dinge, für die ich heute dankbar bin, notieren. Sie geben uns eine sehr klar strukturierte Form vor und lenken unseren Fokus in eine ganz bestimmte Richtung.

Das Journal als Selbstmanagement-Tool

Das Bullet Journaling ist eine Sonderform des Journaling. Ryder Carroll hat dieses Organisationssystem 2013 als klar abgesteckte und zugleich sehr flexible Methode zum Selbstmanagement für sich selbst erdacht. Ein BuJo nach Ryder Carroll kann Kalender und Tagebuch in einem sein. Gerade eher unstrukturierten Menschen hilft die Methode, den Alltag besser zu organisieren, Termine zu planen, To-Dos im Blick zu behalten, Informationen zu sammeln und Ideen festzuhalten.

Fünf Ideen für deine Achtsamkeitspraxis

Innehalten, sich sortieren und den Moment bewusst wahrnehmen – das alles sind Achtsamkeitstechniken, die du auch mit Stift und Papier üben kannst. Hier findest du einige Ideen, wie du in deinem Alltag schreiben und reflektieren kannst:

  • Tägliches Freewriting: Nimm dir Stift und Papier, sorge für eine ruhige Umgebung und stelle dir einen Timer auf 3, 5 oder 10 Minuten. Schreibe auf, was dir zum heutigen Tag einfällt, ohne zu überlegen, ohne dich zu kritisieren und ohne dich zu korrigieren. Fehler sind ausdrücklich erlaubt. Je öfter du diese Methode übst, desto leichter wird es dir fallen, einfach draufloszuschreiben.
  • Morgenseiten: Morgenseiten nennt sich die Freewriting-Praxis des intuitiven Schreibens nach Julia Cameron, mit der wir unseren inneren Zensor gleich nach dem Aufstehen überlisten können, um uns selbst besser auf die Spur zu kommen. Wie das funktioniert, kannst du in unserem Beitrag über Freewriting und Morgenseiten nachlesen.
  • Tagesüberschriften: Welche Überschrift würdest du dem heutigen Tag geben? Was hat dich besonders berührt? Was hat dich überrascht? Notiere, was dir einfällt, ein oder zwei Worte genügen („Regen“ oder „Endlich Sommer!“), es darf aber auch eine lange Überschrift sein („Der Tag, an dem ich meinen Regenschirm lieben lernte“ oder „Wenn die Sonne endlich wieder draußen spielen darf und der ganze Tag nach Vanilleeis schmeckt“). So schulst du deinen Fokus und kannst dich später besser an Tage erinnern, an denen du keine Zeit zum Schreiben gefunden hast.
  • Dankbarkeitstagebuch: Wofür bist du heute besonders dankbar? Halte kurz inne und notiere drei Dinge, es dürfen auch kleine Dinge sein. Wiederhole dieses Ritual für eine Weile jeden Abend. Nach einiger Zeit wirst du spüren, wie sich dein Blick zum Positiven hin verändert.
  • Tagesreflektion: Schließe die Augen und lasse den Tag Revue passieren. Woran erinnerst du dich? Schreib auf, was du verpasst hättest, wenn du diesen Tag nicht erlebt hättest. 

Noch mehr Ideen für achtsames Schreiben im Alltag  findest du in diesem Beitrag: Journaling-Ideen zur Selbstreflexion

Täglich schreiben

Ganz gleich, ob du Tagebuch schreibst oder ein Journal führst – das tägliche Schreiben kann dich im Alltag und in Ausnahmesituationen begleiten, bei der Bewältigung von Schwierigkeiten unterstützen und an deine Werte oder Ziele erinnern. So kann eine tägliche (oder jedenfalls regelmäßige) Schreibroutine dich dabei unterstützen, im Alltag achtsamer zu sein.  

Christine Gräbe ist Literatur- und Buchwissenschaftlerin und arbeitete viele Jahre als Lektorin, Übersetzerin, Texterin, Herausgeberin und Schreibcoach in der Buchbranche. Sie gründete einen Verlag und ist Ghostwriterin, Redenschreiberin und PR-Beraterin. Christine lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

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Möchtest du das Schreiben als einen Weg zu mehr Achtsamkeit im Alltag und einer tieferen Verbindung zu dir selbst erkunden? Gemeinsam bieten Christine und ich das Seminar einfachachtsam schreiben auf Sylt an.

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